Schnalser Transhumanzschaf in Südtirol ist neues Slow Food Presidio
26 Nov 2020 | German
Die Jahrhunderte alte grenzüberschreitende Transhumanz steht im Mittelpunkt des Projekts, um ein Alpental wieder zu beleben und seine Artenvielfalt zu schützen
Hirten gibt es im Schnalstal, einem kleinen Tal in Südtirol, nicht weit von Meran, schon seit Tausenden von Jahren. Das bezeugen Fundstücke in der archäologischen Ausgrabungsstätte auf dem Ganglegg im nahen Vinschgau: Es handelt sich um Handspindeln für die Verarbeitung von Wolle aus der Bronzezeit (ca. 1200 v. Chr.) und zahlreiche kalzifizierte Knochenfragmente von Schafen, die wahrscheinlich bei Opferzeremonien für die Götter verbrannt wurden. Auch Ötzi der Mann aus dem Eis, dessen 5300 Jahre alte Mumie im Jahr 1991 am Hauslabjoch an der Grenze vom Schnalstal zum Ötztal gefunden wurde, zeugt von der Schafzucht.
Genau in diesem Gebiet hat sich nach und nach eine mittelgroße Schafrasse durchgesetzt, das Schnalser Schaf, das sich für die Fleischproduktion ebenso wie für die Wollerzeugung eignet. Es kann nur auf der Weide gehalten werden, und gerade diese Eigenschaft stellt einerseits eine Besonderheit, andererseits aber eine Einschränkung der Rasse dar, da sie wenig wettbewerbsfähig auf dem Markt ist und ihre Verbreitung damit begrenzt war. Derzeit gibt es diese Rasse nur noch in 60 Masi – den traditionellen Bauernhöfen in Südtirol und Oberem Etschtal, die auf den Berghängen des Tals verstreut liegen.
«Es ist ein bedeutender Qualitätssprung für unsere ganze Gemeinschaft, dass die Schnalser Schafe aus unserem Tal die Anerkennung als Slow Food Presidio erhalten haben», kommentiert Manfred Waldner, Direktor des Tourismusvereins Schnalstal. «Die Schnalser Schafe waren immer das Nutztier par excellence und sie sind wesentlich für den Ansatz der Nachhaltigkeit, den wir für das Leben in unserem Tal durchsetzen wollen.»
Die Beziehung zwischen Mensch und Natur war im Schnalstal nicht immer harmonisch. «Die 80er und 90er Jahre waren für Schnals eine eher komplexe Zeit, das lag an dem ungehemmten Tourismus vor allem in Verbindung mit dem Skisport», erklärt Waldner weiter. «Um Gewinn zu machen, wurde das Tal nach und nach verunstaltet und verlor den Kontakt zu seinen Wurzeln. Deshalb wurde vor fünfzehn Jahren ein Projekt aufgenommen, das sich die Nachhaltigkeit auf die Fahnen geschrieben hat. Es zielt darauf ab, dieses Gebiet mit größerem Verantwortungsbewusstsein und Fürsorge zu bewohnen, und sensibilisiert die lokale Bevölkerung dafür, wie wichtig es ist, dass der Lebensstil in positivem Dialog mit der natürlichen Umwelt, in die wir eingegliedert sind, steht – von den Essgewohnheiten bis zur Mobilität. Kleine lokale Handelsbetriebe unterstützen, Luftverschmutzung verringern, indem man lieber zu Fuß geht oder Fahrrad fährt, als mit dem Auto zu fahren, das sind kleine Gesten, die auf das Gleichgewicht der alpinen Ökosysteme große Wirkung haben.»
Community und Tradition: Elemente für eine nachhaltigere Zukunft
In den 60er Jahren war das Schnalser Schaf die wichtigste Rasse, die im Landkreis Bozen gehalten wurde, heute dagegen gibt es bei stark abnehmender Bevölkerung nur noch 1500 Exemplare im ganzen Tal. Derzeit hängt das Überleben der Art zum Großteil vom Schutz der uralten Praxis der Transhumanz ab, die seit Jahrhunderten wesentlich zum lokalen Kulturerbe gehört.
Die Transhumanz oder Wanderweidehaltung wurde 2019 in die UNESCO-Liste des nationalen immateriellen Kulturerbes aufgenommen: Damit wurde ihre grundlegende Rolle für das ökologische Gleichgewicht des Gebirges anerkannt. In der Tat sorgt die Transhumanz für den eindrucksvollsten Moment des Jahres für alle Talbewohner: den Schaftrieb. Die Schafe ziehen im Schnalstal los und gelangen bis ins Ötztal jenseits der österreichischen Grenze. Dabei legen sie eine Strecke von rund 44 km mit einem Höhenunterschied von insgesamt fast 5.000 m zurück (3.000 m Aufstieg und 1.800 Abstieg). Der Almauftrieb Richtung Österreich findet am Sommeranfang statt, wenn die Zeit gekommen ist, die Herden auf reichhaltigere Weiden zu führen, am Herbstanfang kehren die Schafe nach Südtirol zurück und der Abtrieb endet mit einem großen Fest zu Füßen des Schnalstaler Gletschers.
«Jedes Jahr bringt diese Transhumanz Touristen, Besucher und Bergsteiger ins Tal, die zwei Tage lang neugierig und erstaunt den Schaftrieb begleiten», erzählt Angelo Carrillo, Leiter des Slow Food Conviviums Alto Adige Südtirol. «Die Schnalser Schafe sind ein Presidio, das Grenzen überwindet und zwei Länder vereint. Ihre typische Wanderweidehaltung hat eine sehr lange Tradition, die lebendig geblieben ist dank der Bemühungen der Bauern und der Hofbewohner. Wir müssen sie schützen, damit dieser wertvolle Brauch den kommenden Generationen überliefert wird.»
Zu den Zielen des Nachhaltigkeitsprojekts für das Tal gehört eben auch der Wille, die lokalen Fleischproduzenten zu unterstützen und die anderen Produkte des Schafs synergetisch zu fördern: «Wir wollen die lokale Wirtschaft beleben und unterstützen, zum Beispiel die Hotelbetreiber des Tals», erklärt der Direktor des Tourismusvereins Schnalstal. «Die lokalen Betriebe und Einrichtungen sind auch in die Wiederbelebung der Tradition der Woll- und Filzprodukte einbezogen, die mit der Zeit am Aussterben war. Man denke nur, dass vor dreihundert Jahren acht Filzhersteller aus dem Schnalstal so hochwertige Materialien verkauften, dass sie alle wichtigen Schneidereien in einem Gebiet zwischen Venedig, Mailand und Salzburg belieferten. Wir sind stolz darauf, die Traditionen, die unsere Geschichte geprägt haben, lebendig zu erhalten und unsere Produkte in der Welt bekannt zu machen: Dies ist für uns ein Anreiz, uns Tag für Tag weiterzuentwickeln auf der festen Basis der Ideale, mit denen wir unsere Berge bewohnen.»
Das Slow Food Presidio Schnalser Transhumanzschaf wird unterstützt vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik (*) und kofinanziert vom Tourismusverein Schnalstal.
(*) Das Presidio Schnalser Transhumanzschaf wird finanziert vom Ministerium für Arbeit und Sozialpolitik, Generaldirektion Dritter Sektor und Sozialverantwortung der Unternehmen, Bekanntmachung Nr. 1/2018 „Slow Food in Aktion: Communities als Triebkräfte des Wandels“, im Sinne von Art. 72 Gesetz über den Dritten Sektor gemäß ital. Gesetzeserlass Nr. 117/2017.
Presseabteilung Slow Food
Gioia Baggio – [email protected]
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