GEMEINSAME AGRARPOLITIK ALS RISIKO FÜR DEN EUROPÄISCHEN GREEN DEAL

Desaströses Abkommen der politischen Kräfte im EU-Parlament über die GAP-Reform, das in krassem Gegensatz zu den Zielen der europäischen Strategien „Vom Hof auf den Tisch” und „Biodiversität 2030” steht. Eine bedingungslose Kapitulation vor den großen Lobbys der Agrarindustrie

 

Die wichtigsten politischen Fraktionen Europas haben in der vergangenen Woche eine Einigung über die Abstimmung zur GAP-Reform erzielt, die katastrophale Folgen für den Schutz der biologischen Vielfalt, der Natur und den Kampf gegen den Klimawandel haben wird, sollte sie bei der am 20. Oktober beginnenden Plenarabstimmung im Europäischen Parlament verabschiedet werden. Die Wahl findet in derselben Woche wie die entscheidende Tagung des Europäischen Rates der Landwirtschaftsminister statt, dessen Beitrag zu einer ökologisch ehrgeizigen GAP von entscheidender Bedeutung sein wird, auch wenn die Länderregierungen im Moment entschlossen zu sein scheinen, sich diesbezüglich keine ambitionierten Ziele zu setzen.

Das Abkommen über die künftige Gemeinsame Agrarpolitik, das von den drei größten Fraktionen im Europaparlament – der Europäischen Volkspartei (PPE), den Sozialisten und Demokraten (S&D) und Renew Europe (den Liberalen) – unterzeichnet wurde, ist der Umwelt nicht förderlich und birgt die Gefahr, das ökologische Engagement der neuen Europäischen Kommission  zunichte zu machen. So die lautstarke Kritik der Vertreter der Zivilgesellschaft und der Umweltschutzvereine in ganz Europa: Das Europäische Parlament riskiert, den europäischen Green Deal und die entsprechenden Zielsetzungen der vor wenigen Monaten verabschiedeten Strategien, nämlich der „Biodiversität 2030“ und der „Vom Hof auf den Tisch“-Strategien, zu behindern und zu boykottieren.

Einer der schädlichsten Vorschläge, auf den sich S&D, PPE und Renew Europe geeinigt haben, ist es, kein bestimmtes Budget für den Schutz der Biodiversität auf den Flächen der Landwirtschaftsbetriebe einzuplanen – sei es durch die Schaffung von Seen, Hecken oder kleinen Feuchtgebieten, wie es die Strategie Biodiversität 2030 vorsieht – und die Verpflichtung aufzuheben, dass mindestens 10% der landwirtschaftlichen Nutzfläche dem Schutz der biologischen Vielfalt gewidmet sein muss. Dabei handelt es sich um grundlegende Elemente, die für den Schutz zahlreicher in Europa vom Aussterben bedrohter Spezies vonnöten sind. Ein weiterer kritischer Punkt der Vereinbarung ist die Absicht, das Verbot des Pflügens und der Umwandlung von Dauergrünland in den Natura 2000-Gebieten aufzuheben, die Naturschutzgebiete öffentlichen Interesses sind und zum Wohl der Menschen, der Tiere und der Umwelt geschützt werden müssten.

Das sind nur einige der gravierenden Änderungsvorschläge, die das Ende des ambitionierten Green Deal der EU bedeuten könnten, welcher unbedingt eine radikale Reform der GAP erfordert, um Erfolg zu haben.

Auch im Hinblick auf die Gleichbehandlung von Bio- und agrarökologischen Betrieben könnte dieses Abkommen verheerende Folgen haben und die Ressourcen auf bestimmte Praktiken begrenzen, die sich nur Großunternehmen leisten können, was einer Art von „Greenwashing“ mit EU-Mitteln gleichkäme.

„Dieser Vorschlag – so Marta Messa, Leiterin von Slow Food Europa und des Europabüros von Slow Food in Brüssel –  kommt einer Kapitulation vor der intensiven Landwirtschaft gleich und akzeptiert den Status Quo, der nur wenige Große begünstigt und all diejenigen vernachlässigt, die täglich mit agrarökologischen Verfahren Lebensmittel herstellen und die Umwelt schützen. Wir rufen die Mitglieder des Europäischen Parlaments dazu auf, die Versprechen einzuhalten, die sie den europäischen Bürgern bei den Wahlen 2019 gemacht haben: sich besser und konkreter im Kampf gegen den Klimawandel und für den Schutz der Biodiversität einzusetzen. Und wir rufen auch die europäischen Bürger dazu auf, wachsam zu sein und sich an den Prozessen zu beteiligen, die über die Zukunft unserer Ernährung, unseres Planeten und unserer Zukunft entscheiden.”

Momentan werden jährlich ungefähr 35% des Gesamthaushalts der Europäischen Union, der Steuerzahlungen der EU-Bürger von zirka  60 Milliarden Euro entspricht, für die Subventionen der Gemeinsamen Agrarpolitik aufgewendet, womit hauptsächlich intensive und industrielle Landwirtschaft gefördert wird. Dieses Produktionsmodell ist einer der Hauptverantwortlichen für den Verlust der Biodiversität, die Verschmutzung von Luft und Wasser und für den Klimawandel.

Zahlreiche Studien und über 3600 Wissenschaftler weisen darauf hin, dass viele Spezies aufgrund der intensiven Landwirtschaft Gefahr laufen auszusterben. Seit 1980 hat die EU 57% ihrer Vögel in landwirtschaftlichen Nutzgebieten verloren. Gleiches gilt für Schmetterlinge, Bienen und andere Bestäuber, deren Bestand ebenso drastisch zurückgeht.

Die Natur zu schützen heißt auch, all die Landwirte zu schützen, die sich für eine echte agrarökologische Wende einsetzen. Bürger fordern das lautstark in ganz Europa, organisieren Diskussionen, Demonstrationen, Online-Aktionen wie bei der Kampagne Good Food Good Farming: Die Politiker können sie nicht weiterhin ignorieren und sich nur von der Agrarindustrie bezirzen lassen.

 

Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte:

Slow Food International Pressebüro
[email protected]
Paola Nano (+39 329 8321285) – Gioia Baggio (+39 349 9549799)

 

Slow Food  ist ein weltweites Netzwerk lokaler Gemeinschaften und wurde 1989 gegründet, um das Verschwinden lokaler Ernährungstraditionen aufzuhalten und um Fast Food und Fast Life entgegenzuwirken. Seitdem ist Slow Food zu einer globalen Bewegung angewachsen, die über eine Million Menschen in über 160 Ländern umfasst und sich dafür einsetzt, dass alle Menschen Zugang zu gutem, sauberem und fairem Essen haben. Slow Food ist der Dachverein, der die gesamte Bewegung führt.

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