Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist einer der ältesten Politikbereiche der EU. Sie wurde 1962 eingeführt – nach einem Jahrzehnt voll Nahrungsmittelknappheit und Hungersnöten in Folge des 2. Weltkriegs –, um die Landwirtschaftsproduktion anzukurbeln, Ernährungssicherheit zu gewährleisten und die Lebensqualität der Bauern zu verbessern.
Sie sollte einerseits die Märkte stabilisieren und andererseits angemessene Preise für die Verbraucher garantieren. Heute macht die GAP fast 40 Prozent des gesamten EU-Haushalts aus. Die neue GAP, die 2021 verabschiedet wird, steht vor neuen Herausforderungen, um den Nachhaltigkeitszielen gerecht zu werden, die biologische Vielfalt zu erhalten und die Umwelt zu schützen.
Die GAP spielt für die Lebensmittel- und Landwirtschaftssysteme Europas eine entscheidende Rolle. Nachfolgend möchten wir die wichtigsten Dinge erklären, die jeder europäische Bürger wissen sollte.

1. Warum braucht Europa eine gemeinsame Agrarpolitik und wie beeinflusst sie die nationale Politik?
Die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) wurde 1962 eingeführt, um für alle Menschen eine sichere Versorgung mit bezahlbaren Nahrungsmitteln zu gewährleisten und den Landwirten ein angemessenes Einkommen zu ermöglichen. Nach dem zweiten Weltkrieg hatte die neu gegründete Europäische Kohle- und Stahlgemeinschaft (die heutige Europäische Union) das Ziel, den fragmentierten Kontinent zu einen. Eine der frühesten Herausforderungen war der Mangel an Nahrungsmitteln; es musste auf europäischer Ebene gehandelt werden, um Europa in Sachen Nahrungsmittelversorgung autark zu machen und innerhalb Europas eine angemessene Lebensmittelversorgung und den freien Verkehr von Lebensmitteln und Agrarerzeugnissen sicherzustellen.
Aktuell spielt die Europäische Union mit ihren 27 Mitgliedsstaaten eine grundlegende Rolle beim Schutz des europäischen Landwirtschaftssektors und bei der Regulierung und Gewährleistung von Markt- und Einkommensstabilität sowie der Umsetzung von Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung. Die Politik leistete einerseits einen wichtigen Beitrag dazu, die Importabhängigkeit Europas zu reduzieren und die Rolle der EU auf internationalen Märkten durch einen exportorientierten Ansatz zu stärken, andererseits führte sie zu Überproduktion und einem Überschuss an Lebensmitteln und Getränken.
Heute macht die GAP etwas 40% des EU-Haushalts aus. Sie ist und bleibt die am stärksten integrierte Politik der EU, d.h. die Politik mit den meisten Entscheidungen, die auf EU-Ebene getroffen werden.
Jeder Mitgliedsstaat muss sicherstellen, dass die GAP auf nationaler Ebene umgesetzt wird. Dazu müssen die Strukturen und Instrumente geschaffen werden, um sowohl den Zugang der Landwirte zu Ressourcen auf Landesebene zu regulieren als auch sicherzustellen, dass die Ressourcenempfänger die Regeln einhalten. Die nächste Reform der GAP ist für die Mitgliedsstaaten so wichtig wie nie zuvor. Während die Kommission die grundlegenden Ziele und Vorgaben festgelegt hat, wird jedes Land mehr Freiheit haben, die Politik an den nationalen Kontext anzupassen. Es wird jedoch in der Verantwortung der Kommission liegen, sicherzustellen, dass die strategischen Pläne der Länder ehrgeizig genug sind, um die Gesamtziele der EU zu erreichen.
2. Wie hat sich die GAP im Laufe der Jahre verändert?
Im Zuge von fast 50 Jahren wurde die GAP mehrmals überarbeitet und unterlag erheblichen Veränderungen und Weiterentwicklungen. Seit den 90er Jahren verschob sich die Orientierung der GAP-Reformen schrittweise von einem ausschließlich auf die Landwirtschaftsproduktion
ausgerichteten Fokus (wie nach dem 2. Weltkrieg) zu einem ganzheitlicheren Ansatz, der für mehr Wettbewerbsfähigkeit, eine stärkere Konzentration auf die ländliche Entwicklung sowie mehr Nachhaltigkeit stand.
Im Laufe der Jahre veränderte sich auch die Finanzstruktur wesentlich. Exportzuschüsse und Maßnahmen zur Marktunterstützung gingen allmählich zurück. Gekoppelte Direktzahlungen (produktionsabhängige Zahlungen) wurden fast gänzlich abgeschafft und durch entkoppelte Direktzahlungen ersetzt (hektarabhängige Zahlungen) oder an strengere Bedingungen geknüpft, um die Mittel zu erhalten, die die EU für Investitionen in ihren Mitgliedsstaaten benötigte. Das war nicht nur zur Steigerung der Produktivität, sondern auch zum Schutz der Umwelt und zur Verbesserung nachhaltiger landwirtschaftlicher Praktiken erforderlich. 2013 begann die GAP, auch andere Maßnahmen zur nachhaltigen Entwicklung und zur ökologischen Landwirtschaft umfassender zu unterstützen. Themen wie artgerechte Tierhaltung, Nachhaltigkeit, ländliche Entwicklung, ökologischer Landbau, Naturschutz und Erhalt der biologischen Vielfalt wurden zunehmend wichtiger, auch da die negativen Folgen der produktivitätsgesteuerten industriellen Landwirtschaft immer offensichtlicher wurden. Diesbezüglich gibt es jedoch nach wie vor viel zu tun.
3. Unterstützt die GAP nachhaltige Landwirtschaft?
Laut der Europäischen Kommission, die für die Entwicklung der GAP verantwortlich ist, kombiniert die GAP „soziale, ökonomische und ökologische Ansätze zu einem nachhaltigen Landwirtschaftssystem in der EU.“ Es gibt verschiedene Maßnahmen zur Förderung umweltfreundlicher Landwirtschaft:
· Ein bereichsübergreifender Mechanismus, der die finanzielle Unterstützung an die Einhaltung von EU-Vorschriften zu den Themen Umweltschutz sowie Gesundheit von Menschen, Pflanzen und Tieren koppelt;
· Grüne Direktzahlungen – unterstützen Bauern, die landwirtschaftliche Praktiken einführen oder beibehalten, die zum Erreichen der Umwelt- und Klimaziele beitragen;
· Maßnahmen zur ländlichen Entwicklung unterstützen Investitionen und landwirtschaftliche Aktivitäten, die zum Klimaschutz und zum nachhaltigen Umgang mit Naturressourcen beitragen.
Zwischenzeitlich hat der Europäische Rechnungshof – eine der sieben EU-Institutionen, die sich um die Interessen der europäischen Steuerzahlen kümmert – im Juni einen Bericht veröffentlicht, laut dem die GAP-Fördermittel zur Eindämmung des Rückgangs der biologischen Vielfalt auf landwirtschaftlich genutzten Flächen nicht nur nicht erfolgreich waren, sondern vielmehr auf verschiedene Weise dazu beigetragen haben, den Rückgang der biologischen Vielfalt auf landwirtschaftlichen Nutzflächen zu beschleunigen. Darüber hinaus berichtete der Rechnungshof 2017, dass die grünen Direktzahlungen „in ökologischer Hinsicht wirkungslos gewesen seien.“ Dem Bericht zufolge qualifizieren sich aufgrund der vielen Ausnahmeregelungen in der Politik zwei Drittel der Landwirte für grüne Zahlungen, „ohne einer Ökologisierungsverpflichtung zu unterliegen.”
Die derzeitige GAP erreicht viele ihrer Ziele nicht, insbesondere die Umweltschutz- und Nachhaltigkeitsziele. Insgesamt ist die GAP nicht beispielhaft für die Unterstützung nachhaltiger Landwirtschaft, da sie in ihrer Struktur noch immer in einem alten System verwurzelt ist, das den Landwirt auf Grundlage der bewirtschafteten Hektaranzahl belohnt, statt einen vollständigen Übergang zu ökologischen Praktiken zu unterstützen und wirtschaftliche Unterstützung nur auf Grundlage strenger Umweltauflagen zu gewähren.

4. Wer profitiert am meisten von der GAP?
Auf Länderebene profitiert Frankreich am meisten von der GAP, gefolgt von Deutschland und Spanien. Insgesamt profitieren die Landwirte in den 15 älteren EU-Mitgliedsstaaten viel mehr von der GAP als die neueren Mitglieder, da ihre Landwirte höhere Zahlungen pro Hektar erhalten.
Im Bereich der Agrarindustrie sind Industriebetriebe und Großgrundbesitzer die Hauptnutznießer der GAP. Schätzungsweise 80 % der Agrarbeihilfen kommen etwa einem Viertel der Landwirte in der EU zugute – und zwar denjenigen mit den größten Betrieben – was zu ernsthaften Ungleichgewichten führt und eine industrialisierte Landwirtschaft in großem Maßstab begünstigt. Nur 2 % des Gesamtbudgets geht an junge Landwirte. Demzufolge werden ihre Bedürfnisse wie die Weiterbildung zu ökologischeren Anbaumethoden, die Unterstützung bei der Unternehmensgründung oder der Zugang zu Land nicht ausreichend unterstützt.
5. Derzeit läuft eine neue GAP-Reform. Wie wird die GAP verbessert? Was sind die wichtigsten kritischen Punkte?
Die neue GAP-Reform wurde, obwohl sie weitere Schritte „zu einem grünen und nachhaltigen Agrarsystem in der EU“ verspricht, von Nichtregierungsorganisationen und anderen EU-Institutionen heftig kritisiert.
Der Europäische Rechnungshof schreibt in seinem Bericht, die Kommission „erreiche die EU-Ziele für einen umweltfreundlicheren und robusteren leistungsorientierten Ansatz nicht”, und der neuen Reform fehle es an klar definierten und quantifizierten Klima- und Umweltzielen.
Zwischenzeitlich fordern europäische Wissenschaftler in einem kürzlich veröffentlichten Brief an die Europäische Kommission diese auf, drastische Verbesserungen vorzunehmen, um die Umwelt nicht weiter zu beschädigen. Die Wissenschaftler geben zu bedenken, es sei doch genau die neue GAP, die nach Lösungen für die Umweltkrise suchen sollte. Die GAP sollte einen Übergang der Landwirtschaft zu einem ökologischeren Modell einleiten, indem sie Subventionen, die auf der Produktionsmenge basieren, und Direktzahlungen, die ausschließlich auf Landbesitz basieren, sofort ein Ende bereitet.
Organisationen der Zivilgesellschaft stimmen darin überein, dass die laufende GAP-Reform darauf ausgelegt ist, die intensive Landwirtschaft – sprich einen grundlegenden Verursacher des Verlusts der biologischen Vielfalt und des Klimawandels – weiterhin zu unterstützen Ein Drittel der Treibhausgase werden von der industriellen Landwirtschaft erzeugt. Ein kürzlich veröffentlichter Bericht der Vereinten Nationen enthüllte besorgniserregende Ergebnisse des „beispiellosen und immer rasanteren“ Rückgangs der weltweiten Biodiversität.

6. Wie könnte die GAP aus Sicht von Slow Food verbessert werden?
Slow Food und einige andere Organisationen der Zivilgesellschaft gehörten zu den lautstarken Kritikern der neuen GAP-Reform. Slow Food engagierte sich für die Kampagne Good Food Good Farming, bei der die politischen Entscheidungsträger der EU aufgefordert wurden, sicherzustellen, dass die neue GAP den bevorstehenden ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Herausforderungen gerecht wird.
In einem offenen Brief forderten Slow Food und andere europäische Organisationen folgende Ziele für die neue GAP:
1. Dem Aussterben der kleinbäuerlichen Landwirtschaft auf Gemeindeebene ein Ende setzen und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Landwirte und Landarbeiter schaffen;
2. Willkürliche Zahlungen pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche einstellen;
3. Die Klimakrise bekämpfen, die Bodenfruchtbarkeit wiederherstellen und die biologische Vielfalt erhalten, Wasser schützen, die Abhängigkeit von Energie und Chemikalien verringern und den Tierschutz fördern;
4. Vorzugsweise saisonale, lokale und faire Produktion fördern.
Unterdessen erklärte Slow Food als spezifische Ziele für die nächste GAP-Reform:
· Die Ziele der Farm-to-Fork-Strategie und der Biodiversitäts-Strategie innerhalb der GAP angleichen und integrieren
· Dem Verlust der kleinbäuerlichen Landwirtschaft auf Gemeindeebene entgegenwirken und menschenwürdige Arbeitsbedingungen für Bauern und Landarbeiter schaffen
· Willkürliche Zahlungen pro Hektar landwirtschaftlicher Nutzfläche einstellen und durch gezielte Finanzierungs- und Unterstützungsmaßnahmen ersetzen, die den Übergang zur Agrarökologie fördern
· Durch gezielte Förderung die Klimakrise bekämpfen, die Bodenfruchtbarkeit wiederherstellen und die biologische Vielfalt erhalten, Wasser schützen, die Abhängigkeit von Energie und Chemikalien verringern und den Tierschutz fördern
· Vorzugsweise saisonale, lokale und faire Erzeugung von Obst, Gemüse, Getreide, Milchprodukten und Fleisch fördern und allen Menschen den Zugang zu einer gesunden, nahrhaften und erschwinglichen Ernährung garantieren.
Den überarbeiteten neuen GAP-Entwurf und die spezifischen Forderungen von Slow Food finden Sie hier.
7. Welche Rolle spielen die Farm-to-Fork-Strategie und der europäische Green Deal in der GAP?
Im Zuge der jüngsten Einführung des ambitionierten Politikprojekts der Europäischen Kommission, dem Green Deal, und seinen untergeordneten themenspezifischen Instrumenten, der Farm-to-Fork-Strategie und der Biodiversitäts-Strategie, hält Slow Food es für wichtiger denn je, die GAP mit den neuen umweltpolitischen Zielsetzungen in Einklang zu bringen. Es ist von grundlegender Bedeutung, die in beiden Strategien festgelegten neuen Ziele und Vorgaben in die laufende GAP-Reform zu integrieren, die den Weg für die Zukunft der Landwirtschaft in Europa in den nächsten sieben Jahren ebnen wird.
Die Ziele und Vorgaben der Strategien, deren Integration in die GAP Slow Food für besonders wichtig hält, sind:
· Reduzierung des Einsatzes von Pestiziden um 50 %;
· Reduzierung chemischer Düngemittel,
· Garantierung eines Anteils von 25% biologischer Landwirtschaft;
· Verbesserung der Tierschutznormen,
· Erhöhung der Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt,
· Gewährleistung besserer Informationen für die Verbraucher;
· Garantierter Zugang zu gesunden Nahrungsmitteln für alle Menschen.
Daher ist es unerlässlich, dass die neue GAP Instrumente und Unterstützung bietet, damit diese Ziele Wirklichkeit werden.
8. Slow Food setzt sich für eine gemeinsame Lebensmittelpolitik ein. Wenn diese eingeführt würde, welche Rolle würde die GAP dann spielen?
Das aktuelle Lebensmittelsystem ist nicht nachhaltig und wird den Bedürfnissen der Bürger und der Umwelt nicht gerecht. Slow Food ist der Überzeugung, dass eine gemeinsame Lebensmittelpolitik einen Übergang zu Nachhaltigkeit auf eine Art bewirken kann, die Agrarpolitik allein so nicht leisten kann. Die EU braucht eine Politik, die nicht nur die Landwirtschaft, sondern das Ernährungssystem als Ganzes betrachtet: Alle politischen Bereiche rund um Ernährung sowie alle Akteure der Lebensmittelkette müssen zusammen an einem Übergang zur Nachhaltigkeit arbeiten. Aus Sicht von Slow Food bedeutet das, dass die Politik in den Bereichen Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umwelt, Handel, Gesundheit, Lebensmittelsicherheit und Entwicklung aufeinander abgestimmt werden muss.
Die kürzlich lancierte Farm-to-Fork-Strategie ist der erste Versuch, eine umfassende Politik rund um Ernährung zu schaffen. Slow Food ist der Überzeugung, dass die Farm-to-Fork-Strategie eine Chance darstellt, den transformativen Wandel in Gang zu setzen, den wir brauchen, um nachhaltige Ernährungssysteme aufzubauen und unsere Umwelt, die Bauern und unsere Gesundheit zu schützen.