Die 1600 Jahre alte Stadtmauer von Istanbul ist von Nutzgärten umringt, die die Stadt mit frischem Gemüse versorgen. Hier sind vor ein paar Tagen die Abrissbagger angerückt. Die Mobilisierung der Bewohner im Viertel ist stark und kämpferisch, aber die Gefahr, dass die Gärten definitiv zerstört werden, ist sehr groß.
Es gibt zwei Gruppen von Gärten (auf Türkisch heißen sie ‘bostans’) an der Theodosianischen Mauer. Die erste auf der Innenseite ist bereits zum größten Teil zerstört – es war ein Parkplatz geplant, der nie angelegt wurde. Der Bürgermeister von Istanbul stoppte das Projekt nach den Protesten und kündigte an, dass die Zukunft des Gebietes zusammen mit Architekten, Landschaftshistorikern, Fachleuten für das Kulturerbe geplant würde, ohne aber dabei die wichtigsten Beteiligten zu erwähnen: die Bauern, die diesen unantastbaren Bestand am Leben erhalten, und die Bewohner des Viertels.
Die jüngeren Abrisse fanden dagegen in der zweiten Gruppe der Gärten zwischen dem ersten und zweiten Befestigungsring statt: über 200.000 m², die von fünfzig Familien bebaut werden. Am 13. Januar zerstörten die Ordnungskräfte die Hütten der Landwirte und verwiesen die Blumenverkäufer von ihrem Platz. Der Verein der Landwirte von Yedikule und der Ausschuss zum Schutz der historischen Gärten bemühen sich um einen Dialog mit den Institutionen. Dennoch trat die öffentliche Seite mit Polizei in Kampfausrüstung auf.
Das Baugewerbe hat in der Türkei eine entscheidende Rolle für das Wirtschaftswachstum. Ganze Viertel werden ständig geräumt, abgerissen und neu aufgebaut. Das erzählt auch Orhan Pamuk in seinem letzten Roman. Die Gärten von Yedikule erinnern an die Hauptfigur, den Straßenverkäufer von Boza, der vom Wandel überholt wird, aber hartnäckig an seinem Beruf hängt. Hier handelt es sich aber nicht um eine Einzelperson, sondern um eine Gemeinschaft, und auch um eine kurze Produktkette, die heute im Rest der Welt als Modell des urbanistischen Wandels anerkannt ist, der so modern ist wie noch nie.
Die Idee der Landwirtschaft als rein ländliches Phänomen entstand erst im 20. Jahrhundert: Immer haben die Stadtbewohner auch ihre eigenen Lebensmittel angebaut, vor allem in Kriegs- oder Krisenzeiten. Der Bürgermeister von Detroit, Hazen Pingree, führte 1893 ein Kursprogramm für Arme ein, das zur Bestellung aufgegebener Grundstücke ermutigte, das „Pingree’s Potato Patches“. Dieses Erbe findet sich heute in den Randvierteln der kalifornischen Städte, in Vierteln mit mehrheitlich hispanischer Bevölkerung, wo die Schulgärten, die von Alice Waters initiiert wurden, zu einem pädagogischen Beispiel geworden sind und die Ernährungsqualität der Familien verbessern. In London gibt es eine lange Warteliste, um eine der städtischen Parzellen zu ergattern, die von der Stadtverwaltung zur Verfügung gestellt werden. In New York wird Gemüse auf den Dächern von Wolkenkratzern angebaut und an Einkaufsgruppen verkauft. Von Berlin bis Paris über Mailand ist es die Herausforderung der Zukunft und auch schon gegenwärtige Realität mit zahlreichen Initiativen, die Stadt nachhaltig zu ernähren.
Aleksandar Sopov vom Studienzentrum für den mittleren Orient in Harvard erklärte: «Istanbul ist die einzige Stadt am Mittelmeer mit so einer intensiven Landwirtschaft im Stadtgebiet. Rund 300 Menschen erzeugen 35 Tonnen Obst und Gemüse pro Jahr. Das ist kein Hobby: Es sind Landwirte mit einem über Generationen überlieferten Wissen.»
Als 2013 die Proteste für den Gezi Park ausbrachen, einer anderen grünen Oase, die durch das zigste Einkaufszentrum ersetzt werden sollte, wurde die Aussetzung des Projekts erreicht, aber die Proteste wurden gewaltsam niedergeschlagen.
Die Gärten von Yedikule erinnern an die Debatte über die Verteidigung des Gemeinguts, das gegen Spekulation geschützt werden muss. Das Gemeingut, das sie darstellen, liegt auch in der Möglichkeit, dass Archäologen und Ethnobotaniker mit den heutigen Landwirten, den lebendigen Zeugen der Vergangenheit, ins Gespräch kommen. Generationen von Gemüsebauern haben spezifische agronomische Kenntnisse angesammelt – diese Kultur wird verschwinden, wenn wir dieses einzigartige Gebiet verlieren, das immerhin dazu beigetragen hat, die Stadt am Bosporus, an der Grenze zu Europa, über tausend Jahre lang zu ernähren.
Carlo Petrini
Artikel aus der Tageszeitung La Repubblica