Vielleicht ist es in anderen Ländern weniger auffällig, aber wer in Italien lebt, liest oder hört in dieser Zeit jeden Tag auch mehrfach etwas über die Expo.
Die Tageszeitungen schlagen Rundgänge vor, erzählen, was einen Besuch wert ist und worauf man verzichten kann, und neigen meist dazu, ganz entgegengesetzte Welten und Philosophien darzustellen, die ja tatsächlich bei der Expo zu erleben sind. So beschrieb zum Beispiel La Repubblica in den ersten Tagen der Veranstaltung die physische Nähe des Slow Food-Bereichs mit dem Restaurant McDonald’s so: «In wenigen Metern Abstand zwei Universen, die sich normalerweise nie begegnen würden. Ein kultureller und philosophischer Wettstreit, der bei der Expo in Schritten gemessen wird: den Schritten, die McDonald’s mit seinen Tischchen im Freien, der Dauerbeschallung mit Musik, den Hamburgern und Luftballons trennen von der Piazza, die Slow Food der biologischen Vielfalt gewidmet hat, mit den niedrigen Holzgebäuden von Herzog & De Meuron und einem Nutzgarten, über dem kleine Lichter alle dazu auffordern, „ihre eigenen Lebensmittel anzubauen“».
Dieser Herausforderung stellt sich Slow Food auf seine Art: Der Verein spricht von biologischer Vielfalt und von konkreten Projekten, bietet Käse und Wein zur Verkostung an, die der Philosophie “gut, sauber und fair” entsprechen, und stellt einen agrar-ökologischen Nutzgarten in den Mittelpunkt, in dem lokale Gemüsesorten gedeihen und dessen Früchte nach und nach geerntet und liebevoll zubereitet werden. Und dazu finden im Slow Food Theater die Berichte von Menschen Raum, die sich Tag für Tag mit dem Problem, wie man “den Planeten ernähren” kann, auseinandersetzen – mit dem Blick in eine Zukunft, in der diese Herausforderung immer komplexer und schwieriger wird. Keine Spezialeffekte: „nur“ die persönlichen Berichte – speziell, das sind sie wirklich – von Bauern, Käsern, Köchen, Landwirten, jungen Leuten, die aufs Land zurückgekehrt sind, Organisationen, die unsere Sicht teilen… von allen, die mit ihrer alltäglichen Arbeit und ihrem Engagement den Planeten schon heute ernähren.
Gerade weil Slow Food den Hauptakteuren für die Zukunft der Lebensmittel eine Stimme verleiht, sprechen die Medien so viel davon, meist mit der Einschätzung, dass unsere Präsenz eine positive Ausnahme in einem Event ist, in dem – so seltsam es scheinen mag – die Lebensmittel eher eine Randstellung haben, als ginge es mehr darum, die Besucher zu erstaunen, als sich mit dem Hauptthema zu beschäftigen. Bei einem Rundgang zwischen den wunderschönen Pavillons und modernster Architektur schaut man durchgehend nach oben und ist offen für Überraschungen. In vielen Pavillons hat man dann aber Mühe zu erkennen, ob tatsächlich eine Vision über die Lebensmittel vermittelt wird, die in Zukunft einen immer stärker bevölkerten Planeten ernähren sollen, ohne seine Ressourcen zu erschöpfen. Nur schwer gelangt man über die schönen Gebäude der Pavillons hinaus, um bis zu ihrem Inhalt vorzudringen. Nicht selten fragt man sich: «Und wo ist nun das Essen?» oder besser: «Und wie ernähren wir nun den Planeten?»
Aber zum Glück gibt es auch andere Organisationen wie Slow Food, die sich ernsthaft dafür einsetzen, konkrete Antworten zu geben. So fand zum Beispiel Anfang Juni in Mailand das Forum der Expo der Völker statt [https://expodeipopoli.it/?lang=en], ein internationales Netzwerk, das seit über drei Jahren an einer gemeinsamen Vision arbeitet, wie der Planet in Zukunft ernährt werden soll. Die Expo der Völker will den anderen Stimmen, eben den Stimmen der Völker Gehör schenken, denn sie können andere Antworten bieten als die Regierungen, die internationalen Konzerne und der Markt. Die Expo der Völker geht von der Feststellung eines Mangels aus, wie der Koordinator des Projekts Giosuè de Salvo erklärt: «Hier bei der Expo spürt man – wie übrigens auch anderswo – eine doppelte Leere. Einerseits fehlen die Stimmen der Bauern, Hirten, Fischer, obwohl sie doch das Rückgrat des Planeten sind. Auf der anderen Seite fehlt eine politische Analyse der Probleme von Hunger und Armut. Und diese politische Analyse macht man, in dem man alle Machtkonzentrationen erkennt, die in der Agrar- und Lebensmittelkette vom Feld bis auf den Tisch bestehen. Eine massive Reihe von Monopolen und Kartellen, die eine wirklich dringenden demokratischen Bedarf in Bezug auf Lebensmittel und die dazugehörigen Menschenrechte – angemessene Ernährung, Zugang zu Land, Wasser, zu Saatgut, um nur die wichtigsten zu nennen – erzeugt haben. Die Antwort der Expo der Völker liegt in der Ernährungssouveränität und in der Umweltgerechtigkeit: Dies müssen die politischen Projekte für einen Wandel der Lebensmittelsysteme, aber auch der Gesellschaft insgesamt sein.»
Vom 3. bis 6. Juni hat die Expo der Völker die Delegierten von vielen internationalen Organisationen nach Mailand gebracht, darunter Via Campesina, Climate Action Network, World Fair Trade Organization und natürlich das Netzwerk der Lebensmittelgemeinschaften von Terra Madre. Die Teilnehmer setzten sich in fünf Arbeitsgruppen mit Agrarökologie, der Aneignung von Land und Wasserressourcen, mit Alternative food networks and food councils, Vereinbarungen für den freien Austausch und positiven internationalen Initiativen auseinander, die bereits bestehen und die entwickelt und ausgebaut werden könnten.
Das Forum der Expo der Völker im Juni ist also ebenso wie Terra Madre Youth im Oktober ein wesentlicher Moment, der während dieser sechs Expo-Monate diese beschriebenen Lücken füllen soll. Beide Treffen bringen Landwirte, Bauern und junge Menschen nach Mailand, die die Lösung in der Hand haben, um den Planeten zu ernähren, und die mehr als alle anderen unter einem ungerechten, unfairen Ernährungs- und Wirtschaftssystem leiden – hier können sie sich austauschen und auseinandersetzen, um ihren kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden und damit die führende Rolle einzunehmen, die ihnen zusteht.