Gemäß der Theorie des „Schmetterlingseffekts” kann auch der kleinste Flügelschlag eines Schmetterlings auf der anderen Seite der Welt einen Tornado auslösen. Mit anderen Worten können noch so kleine Veränderungen der Anfangsbedingungen zu langfristigen Systemveränderungen führen. Und die Zerstörungskraft dieser Veränderungen wird natürlich multipliziert, wenn der betreffende „Schmetterling” China ist – mit fast 1,4 Mrd. Einwohnern bevölkerungsreichstes Land der Welt, knapp vor Indien.
Die Zahlen in Verbindung mit China sind in jeglicher Hinsicht eindrucksvoll und jede Veränderung – zum Guten wie auch zum Schlechten – in der Wirtschafts- Sozial-, Energie- und Produktionspolitik dieses kolossalen Landes kann einen Dominoeffekt gegenüber dem Rest der Welt auslösen. Angesichts seiner enormen gastronomischen Vielfalt und dem immensen Erbe an Pflanzen- und Tierarten sowie den Auswirkungen, die die Ernährungsvorlieben der 1,4 Mrd. Bewohner auf die ganze Welt haben, ist China natürlich ein Kernland für das Engagement von Slow Food.
Anfang 2015 unternahm Slow Food mit der offiziellen Gründung von Slow Food Great China seine ersten Schritte in China. Erklärtes Ziel war es, den Zugang aller Menschen zu guten, sauberen und fairen Lebensmitteln aktiv zu fördern. Die Entstehung von Slow Food China ist aus verschiedenen Gründen eine gute Nachricht: nicht zuletzt, weil dieses riesige Land seine Ausrichtung in Richtung Nachhaltigkeit korrigiert hat und der Qualität nach Jahren ungezügelter Entwicklung mehr und mehr Wert beimisst.
Das wird besonders an der Haltung des Landes gegenüber dem Klimawandel klar. China ist nach wie vor der größte Erzeuger von Treibhausgasen, hat aber in den letzten Jahren dank des zunehmenden Bewusstseins für die Folgen des Klimawandels Marschrichtung gewechselt. Es wurde ein nationales Klimawandelprogramm aufgelegt und die chinesische Regierung sagte zu, die Emissionen bis 2030 zwischen 60 und 65% zu reduzieren. Das ist ein bahnbrechender Wandel, dessen Auswirkungen nicht nur in China, sondern auf der ganzen Welt sichtbar sein werden.
Es gibt noch viel zu tun, besonders in so breitgefächerten und komplexen Bereichen wie Landwirtschaft, Tierzucht, Lebensmittelherstellung und Schutz der biologischen Vielfalt. Obwohl einige der größten Lebensmittelkonzerne in China konzentriert sind, nimmt die traditionelle Landwirtschaft eine immer wichtigere Rolle ein, da sie Know-How, Kulturen und Technologien bündelt, die alle zur Ausdifferenzierung der asiatischen Zivilisation beigetragen haben. Die Auflösungsphase, die mit dem zunehmenden Industrialisierungsprozess in den Jahren ab 1910 einsetzte, wird schrittweise von einer Phase des aufgeklärten Wiederaufbaus ersetzt, verkörpert unter anderem von der Neuen Bewegung für Ländlichen Wiederaufbau, einem wertvollen Verbündeten von Slow Food im Dialog mit China.
Diese Hintergrundinformationen erklären vielleicht, warum der nächste Internationale Slow Food-Kongress vom 29. September bis 1. Oktober in der chinesischen Stadt Chengdu abgehalten wird. Die Slow Food-Bewegung unternimmt die ersten Schritte in China. Sie steckt noch in den Kinderschuhen, ist aber voller Energie. Ein Beispiel dafür ist die außergewöhnliche Arbeit der Arche des Geschmacks, die innerhalb von nicht einmal zwei Jahren 50 neue Produkte und über 200 Nominierungen als Arche-Passagiere verzeichnet hat.
Ohne die Arbeit in anderen Regionen zu vergessen, wo Slow Food zahlenmäßig stärker vertreten ist—wie Afrika, Nord- und Südamerika oder Europa— sehen wir diesen Kongress als eine Art Bündelung von Veränderungen: die Veränderungen, die Gruppen wie die Neue Bewegung zum Ländlichen Wiederaufbau in ihr Land bringen; die Veränderungen, die China auf globaler Ebene auslösen kann; die Veränderungen, die Slow Food auf der ganzen Welt durch seine Arbeit für einen Zugang zu guten, sauberen und fairen Lebensmitteln für alle vorantreibt.