Es ist leicht, dieser Tage in Pessimismus zu verfallen: Die UN warnt, dass sich die Anzahl der Waldbrände, die in Australien, Kalifornien, Europa und Sibirien bereits ganze Landstriche verwüstet haben, bis 2050 um ein Drittel erhöhen wird. Weltweit gelten mehr als 40 Regionen als aktive Konfliktgebiete, die zwei Milliarden Menschen in Mitleidenschaft ziehen; davon lebt die Hälfte in extremer Armut. Während in Teilen der Erde als Folge des Angriffskriegs auf die Ukraine die Ernährungsunsicherheit steigt, werden zwischen 70 und 90 % des weltweiten Getreidehandels von vier Großkonzernen kontrolliert, bei denen erheblicher Zweifel daran besteht, ob sie korrekte Angaben zu ihren Beständen machen, was die Marktunsicherheit weiter erhöht. Und die Pestizidindustrie widersetzt sich allen Bemühungen um mehr Nachhaltigkeit mit dem Argument, die Abkehr von der konventionellen Landwirtschaft würde den Hunger in der Welt noch vergrößern. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
Und doch arbeiten jeden Tag unzählige Menschen auf der ganzen Welt daran, Ökosysteme zu regenerieren, Gemeinschaften zu stärken, Frieden zu schaffen und auf allen Ebenen immer noch ehrgeizigere Ziele zu fordern. Weltweit hat die Jugend ihre Stimme erhoben und die Klimakrise in das Zentrum öffentlicher Debatten gerückt. Dank der stetig wachsenden Beteiligung gibt es Schätzungen zufolge heute rund um den Globus bereits über drei Millionen Solidarische Landwirtschafts-Projekte. Indigene und einheimische Gemeinschaften wehren sich standhaft gegen die aggressive Ausbeutung ihrer Lebensräume, teils unter Einsatz ihres Lebens. Die Erkenntnis, dass Agrarökologie – wie sie von Abermillionen Landwirt*innen weltweit bereits praktiziert wird – ein wesentlicher Faktor bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen im Bereich Klima, biologische Vielfalt, Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft sein kann, setzt sich immer weiter durch. Und immer wieder gibt es irgendwo irgendeine Verbesserung im Politikbereich. Auch diese Liste ließe sich weiter fortsetzen.
Ja, die Herausforderungen, denen wir uns gegenübersehen, sind enorm. Im Spannungsfeld zwischen extremen Wetterereignissen, politischem Aufruhr und unablässigem Einsatz für eine bessere Welt müssen wir Wege finden, so schnell und effektiv wie irgend möglich zu agieren, um den Boden für gute, saubere und faire Nahrungsmittel zu bereiten. Ich persönlich halte mich im Vor und Zurück der gegensätzlichen Kräfte, die auf uns einwirken, an ein Zitat von Martin Luther King: „Der Bogen des moralischen Universums ist weit, aber er neigt sich zur Gerechtigkeit.“ Veränderung braucht Zeit, aber sie kommt gewiss.
Als Mitglieder von Slow Food tragen wir auf ganz eigene Weise dazu bei, dass der Bogen des moralischen Universums sich in die richtige Richtung neigt. Wir haben die Werkzeuge und die nötige Leidenschaft, um die Wirksamkeit unseres Handels immer weiter zu erhöhen, indem wir uns mit Verbündeten zusammenschließen, Neulinge mit offenen Armen begrüßen und unsere gemeinsamen Bemühungen sorgfältig und gezielt darauf ausrichten, die biologische und kulturelle Vielfalt zu schützen, Menschen zu inspirieren und zu mobilisieren und politische Entscheidungsprozesse im öffentlichen und privaten Sektor mitzugestalten.
Ich sprach schon von unserer einzigartigen Herangehensweise. Zehn Jahre Arbeit mit und für Slow Food haben mir gezeigt, was uns im Vergleich zu unseren Partnerorganisationen in Europa – deren Arbeit auf ihre Weise genauso wertvoll ist – besonders auszeichnet: Wir sind eine globale Bewegung von besonders passionierten Menschen. Wir bringen Akteur*innen aus allen Bereichen des Lebensmittelsystems auf Augenhöhe zusammen. Wir führen überall auf der Welt kreative und wirkungsvolle Aktionen durch. Unser Anspruch ist hoch, aber er wurzelt stets in der täglichen Arbeit und den Erfahrungen der Gemeinschaften vor Ort, den Bäuer*innen, Fischern, Lebensmittelherstellerinnen und -herstellern, Köch*innen, Aktivistinnen und Aktivisten. Wir weisen unerbittlich auf Missstände hin, aber bleiben immer zugewandt und konstruktiv. Und was ich an unserer Bewegung von besonders passionierten Menschen besonders schätze: Eben diese Leidenschaft spendet Hoffnung und bildet die Grundlage für praktische Lösungen und wirksame Maßnahmen.
Wenn man bedenkt, dass all dies vor etwa 30 Jahren mit ein paar Freunden in einer italienischen Kleinstadt begann, ist es fast unglaublich, dass Slow Food heute eine globale Bewegung in mehr als 160 Ländern der Erde ist. Der Antrieb und die Leidenschaft, die diesen Erfolg möglich gemacht haben, sind immer noch da. Angesichts dessen, was wir bis heute erreicht haben – stellt Euch vor, wie viel in den kommenden 30 Jahren möglich sein wird! Als neuer Vorstand haben wir unsere Vision für die nächsten Jahre vorgestellt und im Call to Action, unserem Leitfaden, niedergelegt. Es fußt auf unserer Überzeugung, dass Euer Handeln die Zukunft bestimmt.
Slow Food tritt in eine neue Phase seiner Geschichte ein, und wir haben weiterhin keine Zeit zu verlieren: Lasst uns mit Stolz auf unseren bisherigen Weg blicken, mit Demut unsere Grenzen erkennen, und mit unverändertem Engagement unser gemeinsames Ziel verfolgen – gute, saubere und faire Nahrungsmittel für alle.