Gärtnergemeinschaften: Gartenbau und Agrarökologie im weltweiten Slow-Food-Netzwerk

Gartenbau und kleinbäuerliche Landwirtschaft sind seit Jahrtausenden unsere Haupttätigkeiten zur Erzeugung von Nahrungsmitteln. Doch in unseren derzeitigen Ernährungssystemen sind wir weit von dieser Realität und vom Verständnis der Bedingungen entfernt, um unter Rücksichtnahme auf die Natur, die Umwelt und die Gemeinschaften Lebensmittel anzubauen.

Gartenbau kann vieles bedeuten. Es kann heißen, neue Generationen über Nahrungsmittel und ihre komplexe Beziehung mit der Umwelt aufzuklären. Es kann heißen, Biodiversität und Ernährungssouveränität zu fördern oder Lebensmittelwüsten zu bekämpfen und sich für den Zugang zu frischer gesunder Nahrung in Großstädten einzusetzen. Agrarökologischer Gartenbau war schon immer eine grundlegende Aktivität der Bewegung und viele Slow Food Communities auf der ganzen Welt sind aktiv, um dieses Landwirtschaftsmodell voranzutreiben.

Togo

Der Großteil des Grund und Bodens in Afrika wurde durch intensive Landwirtschaft, den Einsatz synthetischer Chemikalien und teilweise auch den Anbau von gentechnisch veränderten Nutzpflanzen ausgebeutet. In einem derart krisengebeutelten Land, das kontinuierlich um seine Ernährungssouveränität kämpfen muss, bietet die Initiative der Nutzgärten von Slow Food Kleinbauern und lokalen Gemeinschaften eine Chance für eine nachhaltige Zukunft.

Die Initiative der Slow-Food-Gärten hatte sich das Ziel gesetzt, Tausend agrarökologische Gärten für die afrikanische Bevölkerung anzulegen. Nachdem dieses Ziel erreicht worden war, erhöhte Slow Food die Zahl auf 10.000. 51% der insgesamt 3.326 Gärten sind heute Schulgärten, die restlichen 49% sind Gemeinschaftsgärten. Jeder Garten ist im Durchschnitt 1.266 m2 groß und 25 Personen arbeiten daran mit. In den meisten Gemeinschaftsgärten haben Frauen das Sagen. In den verschiedenen Schulgärten im ganzen afrikanischen Kontinent wirken 216 Minderjährige daran mit, die Gärten anzulegen und in Schuss zu halten, wobei ein beeindruckend hoher Anteil Mädchen sind.

Diese nach traditionellen Techniken bewirtschafteten Gärten florieren und beherbergen mehr als 215 verschiedenen Pflanzenarten, die den Gemeinschaften eine Vielzahl von Obst, Gemüse, Kräutern, Gewürzen, Knollen, Getreide sowie Heilkräutern liefern. Angesichts der weitreichenden Diversifizierung wäre es schwierig, die verschiedenen Sorten der gleichen Art, die in diesen Gärten wachsen, zu zählen. 20 davon sind jedenfalls Passagiere der Arche des Geschmacks. Auch ein Beweis dafür, dass Biodiversität ein wichtiges Thema für diese Gemeinschaften ist.

Die Gemeinschaft der Jardins Potagers de Agoè-Nyivé in Togo beispielsweise organisiert Aktivitäten wie Konferenzen, Diskussionen, Filmvorführungen und Wettbewerbe in Schulen. Zusammen mit Erzeugern und Köchen betreut sie außerdem Projekte, um das Verschwinden der örtlichen Traditionen zu bekämpfen, das Bewusstsein der Menschen für traditionelle Lebensmittel und ihre Ursprünge zu schärfen und die Biodiversität zu erhalten. „Die meisten Mitglieder der Gemeinschaft arbeiten in der Landwirtschaft und engagieren sich für die Entwicklung agrarökologischer Bildungsprogramme.

Ziel ist es, statt chemischen Düngern und Monokulturen, die unsere Böden auslaugen, die Verwendung von organischen Düngern und Mischkulturen voranzutreiben. Die Gemeinschaft hat einheimische Maissorten aufbewahrt und angebaut, die zu diesen Anbausystemen passen. Die bekannteste davon ist ’AgoèBli’, was einfach ‘der Agoè-Nyivé-Mais’ bedeutet”, erklärt Atigan Komlan Dovene Fabrice, Leiter der Slow Food Community der Agoè-Nyivé-Gemüsegärten.

GRAFIK: Geografische Verteilung:
47% Zentral-Ostafrika
29% Westafrika
19% Südafrika
5% Nordafrika

Auch wenn diese guten, sauberen und fairen Gärten ihre Wurzeln über den gesamten Kontinent verbreitet haben, so sind es die Länder südlich der Sahara, die über das stärkste Netzwerk verfügen – sowohl zahlenmäßig als auch in Bezug auf die Größenordnung der Einsätze und die Führungskapazität. Dazu gehören beispielsweise Burkina Faso und Benin in Westafrika; Kenia, Uganda, Tansania und die Demokratische Republik Kongo in Zentralafrika, bis nach Ost- und Südafrika und Malawi im Süden. 2020 ist für diese Gärten eine umfassende Überprüfung und Kontrolle geplant.

Chile

Agrarökologische Community Mallarauco Melipilla

Die Community befindet sich im chilenischen Melipilla, westlich von Santiago de Chile, zwischen Pazifik und Anden. Sie betreibt einen Gemeinschaftsgarten, der von verschiedenen Familien des städtischen Umlands verwaltet wird. Ziel der Gemeinschaft ist es, lokale Erzeuger durch Workshops und soziale Zusammenkünfte über agrarökologische Anbaumethoden zu informieren und ihnen Kenntnisse und Mittel zu geben, um auf nachhaltigere Art und Weise Lebensmittel zu erzeugen. Das ist in Melipilla, wie auch in anderen westlichen Regionen Chiles besonders wichtig, wo großflächige konventionell betriebene Avocado-Plantagen enorme Probleme hinsichtlich Wasserressourcen, Verlust an Biodiversität und Ernährungssouveränität verursacht haben. Durch direkten Einsatz vor Ort auf dem Feld möchte diese Gemeinschaft einen Raum schaffen für agrarökologische Nutzpflanzenkreuzungen, pflanzliche Biodiversität, Wiedereinführung oder direkte Unterstützung einheimischer Nutzpflanzenarten sowie Aufwertung von traditionellen Kenntnissen.

Ziel der „Agroecologica Mallarauco Melipilla” ist es, die Gemeinschaft zu schulen, um traditionelles ländliches Know-How vor dem Verschwinden zu retten.  Sie organisieren Aktivitäten wie Bildungsworkshops für die Gemeinschaft und die Schulen zum Thema Agrarökologie. Sie fördern lokale Produkte, indem sie Erzeuger einladen und diese mit den Konsumenten in Kontakt bringen, beispielsweise durch Bauernmärkte oder andere Verkaufsförderungsaktivitäten. Sie schaffen außerdem Räume, wo verschiedene Generationen von Bauern und Konsumenten in Dialog treten können, um ein besseres lokales Ernährungssystem zu fördern.

Die agrarökologische Gemeinschaft Mallarauco Melipilla verbreitet die Botschaft von guten, sauberen und fairen Lebensmitteln im Sinne der Slow-Food-Philosophie in dieser Gegend von Chile, während die Agrarindustrie dabei ist, dem Land weiteren Schaden zuzufügen.

Malaysia

City Green: Wie eine Schule ihren Schülern etwas über gute, saubere und faire Lebensmittel beibrachte

Die essbaren Gärten in den Cempaka-Schulen in Malaysia wurden ins Leben gerufen, weil ihr Gründer, Dato’ Frieda Pilus’, davon überzeugt war, wie wichtig es für Kinder ist zu lernen, ihre eigenen Lebensmittel anzubauen. Seit der Gründung im Jahr 2018 erprobte man in Cempaka eine Vielzahl von Pflanzen. Dadurch wurde das Interesse und Verständnis der Schüler dafür verstärkt, was sie konsumieren. Sie wurden so zu „Helden des Gemüsegartens”, die sich für gute, saubere und faire Lebensmittel einsetzen.

„Die Schüler verstehen allmählich besser, was sie essen und wie wichtig Selbstversorgung ist. Ihnen wird immer mehr die Bedeutung davon bewusst, ihre eigenen Lebensmittel anzubauen und diese verantwortungsbewusst zu konsumieren”, so Farah Salizah Ahmad Sarji, Kommunikationsleiter der Cempaka Schulen. Diese Gemüsegärten, in denen nicht umgegraben wird — und wo große Pflanzkisten genau das richtige Sonnenlicht einfangen und gehäckselte Blätter und Abfälle als Kompost verwendet werden — erteilen den Kindern wertvolle Lektionen zum Thema Biodiversität.

Ein Weg, bei den Schülern das Bewusstsein für eine gesunde Ernährung und die Bedeutung der Biodiversität zu wecken, ist es, ihnen das Projekt der Arche des Geschmacks durch die Arche-Produkte vorzustellen, die in ihren Schulgärten zu finden sind.

Wenn wir unsere Anbauprodukte auswählen, „konzentrieren wir uns auf das, was normalerweise in Malaysia angebaut und verzehrt wird. In unseren Gärten wachsen Chilis, Schmetterlingserbsen und Okra”, erklärt Sarji. Überschüssige Produktion wird an die Nachbarschaft verkauft und die ausgeklügelten Kompostierungssysteme, die in Cempaka eingerichtet wurden, tragen dazu bei, dass weniger Abfälle auf die Deponie gelangen. Ein wichtiger Teil der Aufklärung über Lebensmittelverschwendung besteht darin, den Schülern beizubringen, wie sie Überschüsse lagern und/oder konservieren und eine Vielzahl von Produkten anbauen können, die zu unterschiedlichen Zeiten reifen.

Das Projekt der Schulgärten hatte positive Auswirkungen, die sich auch auf die anderen außerschulischen Aktivitäten der Schule ausgedehnt haben. Ein Beispiel dafür ist der Masterchef-Wettbewerb, den die Schule ausrichtet.

„Die Schüler bekommen Standardrezepte für eine Vorspeise, ein Hauptgericht und eine Nachspeise. Dann sollen sie die Gerichte innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zubereiten. Durch diesen Wettbewerb haben wir gesehen, wie die Schüler lernen, Anweisungen entgegenzunehmen, sich die Zeit einzuteilen und als Team zusammenzuarbeiten. Sie lernen, wie man auf hygienische Art Essen zubereitet, entfalten ihre Kreativität und verbessern ihre Geschmacksbildung”, schließt sie.

Das wichtigste Ziel des Programms ist es jedoch, Kinder für ihre Umwelt zu sensibilisieren. Das „Responsible Earth Citizenship” Programm (Programm für verantwortungsbewusste Bürger), ein weiterer Ausläufer der essbaren Gärten, soll Verantwortungsbewusstsein gegenüber der Umwelt wecken und Schüler anregen, eine nachhaltige Perspektive anzunehmen. „Bei dem Programm machen die Schüler Bildungsexkursionen in die Natur. 2018 haben wir beispielsweise das „Padi Planting” Projekt auf die Beine gestellt. Das „Padi-Beet” auf dem Schulgelände machte die Schüler mit urbaner Landwirtschaft vertraut, indem sie am eigenen Leib Erfahrungen beim Anbau von Padi (unser Grundnahrungsmittel) machen konnten, bei der Ernte (unter Einsatz traditioneller Werkzeuge, die wir in der Schule herstellen), beim Zerstampfen und Kochen von Reis. Alles wurde von den Schülern von Hand ausgeführt.  Das war ein Riesenerfolg”, erzählte Sarji.

Italien

Gemeinsamer Gemüsegarten am Vesuv: Biodiversität und Tradition

In den letzten fünf Jahren hat Slow Food Vesuv das Gemeinschaftsgartenprojekt in der Gemeinde Cercola, östlich von Neapel, unterstützt.

Dieser Gemüsegarten mobilisierte Dutzende von Bürgern der örtlichen Gemeinschaft, die das Projekt am Laufen halten. Sie arbeiten gemeinsam an der Aussaat und dem Anbau der Produkte.  Die Ernte wird unter allen aufgeteilt. Bei diesen Zusammenkünften vertiefen sie gleichzeitig auch ihre Werte und ihre Kultur. Sie laden örtliche Schulgruppen ein, um von ihnen zu lernen und sich so diesen Gemeinschaftsgarten zu Eigen zu machen.

Biodiversität, Saisonalität und nachhaltige Landwirtschaft sind die zentralen Werte des Gartens, der damit die Mission des Slow Food Conviviums untermauert. Die Personen, die an dem Gartenprojekt in Cercola und seinen Aktivitäten mitwirken, haben die traditionellen Sorten des Vesuvraums kennengelernt und durch die Projekte der Slow Food Presidi schützenswerte Produkte ausgemacht.

photo credit Matteo Croppo

Zusätzlich zu den Aktivitäten des Gemüsegartens engagieren sich die Teilnehmer des Gemeinschaftsgartens von Cercola auch dafür, alte Traditionen wieder zum Leben zu erwecken, indem sie traditionelle Methoden und Praktiken fördern und schützen. Eine dieser antiken Traditionen sind die alten Öfen. Die Gemeinschaft hat dazu das Vorhandensein von alten Öfen aus dem 19. Jahrhundert, die nur wenige Male von älteren Damen verwendet wurden, ausgenutzt. Heute   entwickelt die Gemeinschaft Aktivitäten zur Weitergabe des Wissens der älteren Frauen an die Jugend, um diese Traditionen am Leben zu erhalten.

Der Markt der Erde am Vesuv ist ein weiterer Ausläufer des Gemeinschaftsgartenprojekts. Eine Initiative, die darauf abzielt, die Reichweite des Gemeinschaftsgartens in der Region zu erweitern, Ergebnisse der Arbeit wertzuschätzen und die Werte von Slow Food zu fördern. Ziel ist es, die Beteiligung der Gemeinschaft weiterhin aufrecht zu halten, Kenntnisse über gute agrarökologische Praktiken zu verbreiten und das Zugehörigkeitsgefühl zu dem Gebiet und seiner Geschichte zu vertiefen.

Schließen Sie sich den Stimmen und Händen an, die für ein besseres Ernährungssystem arbeiten, das gute, saubere und faire Lebensmittel für alle bietet. Gründen auch Sie eine Gemeinschaft. Mehr Infos…

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