Wer zahlt den wahren Preis für die Pestizide?
04 Juli 2022
Die Europäische Kommission hat in ihren Landwirtschafts- und Umweltschutzbestimmungen die Themen Naturschutz und Reduzierung des Pestizideinsatzes zusammengeführt. Das ist in kultureller Hinsicht ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, der absolut nicht selbstverständlich ist.
Denn hinter diesem Schritt steht in gewisser Weise die Einsicht, dass es sinnlos ist, über Umweltschutz, Erhaltung der Ökosysteme und Wiederherstellung von Naturräumen zu sprechen, wenn nicht gleichzeitig der laxe Umgang mit Pestiziden gestoppt wird.
Die Verabschiedung des Naturpakets zur Stärkung des Umweltschutzes in Verbindung mit dem Vorschlag der Reduzierung des Pestizideinsatzes um 50% bis 2030 hinterlässt Spuren.
Natur und Landwirtschaft – eine wechselseitige Abhängigkeit
Die Umwelt, in der wir leben, ist eng mit anderen Faktoren vernetzt, für die weder politische noch territoriale Grenzen gelten. Wenn ich meinen Acker mit Pestiziden behandle, landet ein Teil davon für lange Zeit im Boden, ein anderer Teil sickert ins Wasser und kann durch den Untergrund selbst in weit entfernte Gebiete gelangen. Wiederum ein anderer Teil beeinträchtigt das Nervensystem von Nutzinsekten, was zu einem Rückgang der biologischen Vielfalt und der Funktionstüchtigkeit der Ökosysteme führt. Folge des Pestizideinsatzes sind also eine Reihe von Ereignissen, die vielleicht nicht unmittelbar sichtbar sind, die jedoch inzwischen wissenschaftlich zweifelsfrei belegbar sind. Das zeigte auch die von Federbio koordinierte Kampagne Cambia la terra (Die Erde verändern), die in Zusammenarbeit mit Isde, Legambiente, Lipu, Slow Food Italien und dem WWF unter Schirmherrschaft von Ispra (Institut für Umweltschutz des MITE, Italienischen Ministeriums für ökologischen Übergang) umgesetzt wurde. Die in diesem Rahmen durchgeführte Studie zeigte anhand von ausgewerteten Proben, dass die Böden von Anbauflächen, die mit Pestiziden und Unkrautvernichtungsmitteln behandelt werden, in hohem Maße Rückstände dieser Mittel aufweisen. Das hat negative Auswirkungen auf das Netz von Mikroorganismen, die zur Bewahrung der Bodenfruchtbarkeit beitragen. In einigen Fällen wurden im Boden sogar DDT und seine Sekundärmetaboliten nachgewiesen, was belegt, dass das Molekül auch über vierzig Jahre nach Verbot dieses Insektizids noch in den Böden vorhanden ist.
Die Tatsache, dass in den Böden und Gewässern unserer Länder derart verborgene und furchtbare Gefahren lauern, die mit der Zeit die Produktivität unserer Böden und die Qualität unserer Gewässer beeinträchtigen können, ist wahrhaft kein Grund zur Freude und sollte uns alle aufrütteln.
Die wahren Kosten der Pestizide: Umweltkosten
Dennoch vernahm man nach diesem neuen politischen Schritt der Europäischen Kommission zuerst einmal Kritik, dass die Alternativen zu chemischen Pestiziden heute ja noch wesentlich kostspieliger seien. In Europa denkt man sogar darüber nach, für die Zeit des Übergangs finanzielle Unterstützung bei der Umsetzung dieser neuen Normen bereitzustellen. Man könnte meinen, das sei doch ein Schritt in die richtige Richtung des ökologischen Übergangs. Allerdings sollte man dabei ein Thema noch etwas genauer betrachten: die Umweltkosten, die nicht in die Bilanzen der Unternehmen eingehen. Solange diese negativen Auswirkungen nicht einberechnet werden, sind die Rechnungen sinnlos und gehen nicht auf.
Was heißt es heutzutage, Lebensmittel zur produzieren, ohne dabei auf Nachhaltigkeit zu achten und die Grundsätze der Agrarökologie zu befolgen?
Es bedeutet, einen ziemlich folgenreichen, manchmal sogar unauslöschlichen, ökololgischen Fußabdruck zu hinterlassen, der fast immer zu Lasten der künftigen Generationen geht. Dabei handelt es sich nicht um einen abstrakten Begriff, sondern um unsere Kinder und Enkelkinder. Diesen Fußabdruck bezahlt man nicht heute – den bezahlen andere in der Zukunft. Dieser Ansatz führt dazu, die Umweltkosten zu vernachlässigen und in der Bilanz nicht zu berücksichtigen. Wenn man die Umweltkosten heute konkret beziffern und einkalkulieren würde, würde der ökologische Übergang vielleicht auf natürliche Art reibungsfreier ablaufen und würde nicht sofort einen Ausgleich erforderlich machen, der oftmals als Zugeständnis an die Agrarindustrie herkommt, die nach wie vor auf Profitmaximierung um jeden Preis aus ist.
Biobauern müssen weiterhin in wirtschaftlicher Hinsicht investieren, um eine Zertifizierung ihrer Entscheidung zu erhalten und können nur darauf hoffen, dass sie von den Programmen zur ländlichen Entwicklung dabei unterstützt werden, während diejenigen, die weiterhin synthetische Chemikalien verwenden und so Böden und Gewässer verschmutzen und konkreten ökologischen Schaden anrichten, nicht einmal für diese Umweltkosten aufkommen müssen. Und wenn ihnen ein nachhaltigeres Modell vorgeschrieben wird, fordern sie sogar noch einen Ausgleich.
Wir bräuchten eine neue Sichtweise auf die Dinge, aber das ist wirklich nicht einfach. Besonders in einer Zeit, in der Spekulation so stark verbreitet ist und speziell in Krisenzeiten oft die Oberhand gewinnt.
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