Was tut Slow Food, um GVOs aus Europa fernzuhalten?

28 Jan. 2021

Slow Food ist seit Jahrzehnten im Kampf gegen GVOs aktiv. Da Lobbyisten aus der Industrie auf die Anwendung neuer Techniken zur Genom-Editierung drängen, vorgeblich um nachhaltigere Lebensmittel zu produzieren, verschafft sich Slow Food verstärkt in der Politik Gehör, besonders in Italien, Großbritannien und Brüssel.

In Europa ist die Debatte über „transgene” GVOs – bei denen fremde Gene in Lebensmittel oder Tiere eingeführt werden, um dem Organismus neue Eigenschaften oder Merkmale zu verleihen, die er von Natur aus nicht hat – in den letzten beiden Jahrzehnten abgeflaut, da die meisten EU-Länder entschieden haben, die Produktion von GVOs auf ihrem Boden zu verbieten. Aber die Deregulierung der neuen Techniken zur Genom-Editierung (von der Industrie als neue Züchtungsmethoden bezeichnet), einschließlich CRISPR-Cas9, sind für Slow Food und andere Organisationen der Zivilgesellschaft Grund zur Sorge.

2018 entschied der Europäische Gerichtshof, dass diese neuen Techniken gesetzlich wie GVOs zu behandeln sind, d.h. sie müssen eine sorgfältige Risikobewertung durchlaufen, rückverfolgbar sein und Lebensmittel mit GVO-Bestandteilen müssen klar gekennzeichnet sein. Seitdem leisten der Biotechnologiesektor und die großen Bauernverbände intensive Lobbyarbeit, unterstützt von den GVO-Befürwortern der Politik, die das Urteil kippen möchten. Aus diesem Grund müssen NGOs, Bauern und Verbraucher wachsam bleiben, um sicherzustellen, dass diese neuen GVOs weiterhin streng reguliert werden, da sie die gleichen Risiken für Ernährungssouveränität, Umwelt, Gesundheit, Biodiversität und Entscheidungsfreiheit von Verbrauchern und Bauern aufweisen wie die alten GVOs.

Italien – Gemeinsam stark

Diese Wachsamkeit wurde kurz vor den Weihnachtsferien auf eine harte Probe gestellt, als der (inzwischen ehemalige) Landwirtschaftsminister Italiens 4 Gesetzesentwürfe zu Saatgut und Pflanzen vorlegte. Darunter verbarg sich der Versuch, GVOs und neuen GVOs den Weg zu ebnen. Dank der prompten Reaktion der Zivilgesellschaft und ihren gemeinsamen Warnungen gegen eine Aufweichung der GVO-Gesetzgebung wurde der Vorschlag abgewiesen.

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Am 11. Januar 2021 – also vor der Abstimmung im Parlament – schrieben Slow Food und andere Organisationen der Zivilgesellschaft, Umweltschutzorganisationen, Verbraucherverbände, Imker, sowie Bio- und Bauernverbände gemeinsam einen Brief, um diesen „Versuch der Regierung anzuprangern, eine Öffnung für neue und alte GVOs zu erwirken, nur um eine Hand voll Unternehmen zu begünstigen, die meisten davon multinationale Konzerne, die die Kontrolle über die Lebensmittelkette der Agrarindustrie gewinnen wollen und Bauern und Verbraucher mit unumstößlichen Entscheidungen konfrontieren wollen, mit patentierten, nicht rückverfolgbaren Produkten ungewisser Qualität, und dadurch gegen das Vorsorgeprinzip verstoßen, das Gesundheit, Umwelt und Biodiversität schützen soll, ohne jegliche Analyse der Auswirkungen auf das nationale Landwirtschaftssystem.”

England – Zusammenarbeit mit dem Handel

Kurze Zeit vorher hatte die britische Regierung eine öffentliche Anhörung zur Genom-Editierung angesetzt. Ein erster Schritt nach dem Brexit, der bei Umwelt-, Lebensmittel- und Verbraucher-Organisationen Besorgnis auslöste. Die Anhörung zielt darauf ab, zu verhindern, dass genomeditierte Organismen rechtlich wie gentechnisch veränderte Nutzpflanzen behandelt werden. Der britische Umweltminister argumentierte, dass Genom-Editierung eingesetzt werden könne, um Nutzpflanzen zu entwickeln, die resistenter gegen Krankheiten und extreme Wetterbedingungen sind und dass man so „erhebliche Vorteile für die Branche und die Umwelt erzielen könne.“ Auch wenn sich der Geltungsbereich nur auf England beschränkt, könnten die anderen Länder des Vereinten Königreichs nur schwer verhindern, dass GVOs in ihren Geschäften landen. Der Handel mit der EU würde dadurch noch komplizierter werden.

gmo freeDa die Anhörung Unternehmen, NGOs und Landwirten offensteht, können sich auch all diejenigen zu Wort melden, die Bedenken gegen die neuen GVOs haben. Aber die Komplexität des Themas und die Verwirrung über die Regulierung solcher Produkte machen es nicht einfach, Bürger zu mobilisieren. Aus diesem Grund hat sich ein Bündnis aus NGOs und Gruppen der Zivilgesellschaft gebildet, um die Bürger über die Anhörung zu informieren und ihnen eine Hilfestellung bei der Antwort zu leisten.

Darüber hinaus hat Slow Food UK im Rahmen eines breiten Bündnisses unter Leitung der Organisation Beyond GM eine Aktion koordiniert, bei der Führungspersönlichkeiten aus der Zivilgesellschaft, Bauern und Lebensmittelerzeuger Mitteilungen an die wichtigsten Supermärkte und Cateringunternehmen in Großbritannien sendeten. Viele GVO-Befürworter behaupten gerne, dass Verbraucher genomeditierte Lebensmittel wollen, aber Slow Food kann mit Sicherheit sagen, dass eine steigende Zahl von Bürgern eine ganz andere Art von Lebensmittelsystem will. Ziel dieses Bündnisses der Zivilgesellschaft ist es, zu zeigen, dass geringer bis gar kein Bedarf an genomeditierten Lebensmitteln besteht und die Geschäfte dazu aufzurufen, den Verkauf dieser Produkte einzustellen und sie von ihren Verkaufsflächen zu entfernen.

Europäische Union – Treffen mit politischen Entscheidern

Im Frühjahr 2020 stellte die EU ihre Strategie „Vom Hof auf den Tisch” vor, die das Lebensmittelsystem erstmalig von einer ganzheitlichen Sichtweise aus betrachtet. Sie hat das Potential, die Wende zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem zu beschleunigen. Doch unter den zahlreichen Instrumenten, mit denen die ehrgeizigen sozialen und ökologischen Ziele laut EU-Vorschlag erreicht werden können, finden sich auch „neue genomische Verfahren” (ein weiteres Synonym für neue GVOs), denen die Kommission das Potential zuschreibt, „die Nachhaltigkeit entlang der Lebensmittellieferkette zu erhören.“

Slow Food und ein breites Bündnis von Organisationen hatten davor gewarnt, solche Verfahren in die Strategie aufzunehmen und wiesen die Europäische Kommission anschließend nachdrücklich darauf hin, dass die neuen GVOs nach geltendem Gesetz wie GVOs behandelt werden müssen und dass das Urteil des Europäischen Gerichtshofs von 2018 durchzusetzen ist. Das Urteil stellt sicher, dass alle genomeditierten Lebensmittel sorgfältig auf Lebensmittelsicherheit untersucht werden, rückverfolgbar und klar gekennzeichnet sind. Ohne dieses Urteil könnten neue GVOs ohne unser Wissen auf unseren Esstischen landen.

Mitte Januar absolvierten Slow Food und weitere NGOs ein Treffen auf höchster Ebene. Wir sprachen mit der EU-Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit Stella Kyriakides, um eine andere Sichtweise als die der Biotechnologie vorzubringen: GVOs und neue GVOs müssen weiterhin reguliert werden, damit Bauern, Verbraucher, Landwirte und Händler auch in Zukunft die Freiheit haben, sich für GVO-freie Lebensmittel zu entscheiden.

Nachfolgend einige der wichtigsten Argumente von Slow Food:

  • Die EU-Strategie „Vom Hof auf den Tisch” enthält einige Maßnahmen, damit Verbraucher bessere Informationen über ihre Lebensmittel erhalten und beim Lebensmittelkauf fundierte Entscheidungen treffen können. Das stellt einen Beitrag für den Übergang zu einem nachhaltigeren Lebensmittelsystem dar. Dazu gehören die Vorschläge, die Kennzeichnung des Ursprungs von Lebensmitteln, des Tierwohls, etc. zu verstärken. Die Kennzeichnung ist auch für GVOs und Genomeditierung unerlässlich; Verbraucher können nur fundierte Entscheidungen treffen, wenn genomeditierte Lebensmittel klar gekennzeichnet sind.
  • Wir wissen, dass europäische Verbraucher (bisher) gegen GVOs in ihren Lebensmitteln sind – eine aktuelle Umfrage aus dem Jahr 2020 von BEUC, dem Europäischen Verbraucherverband, zeigt, dass Verbraucher „nachhaltig“ in erster Linie mit umweltfreundlichen Lebensmittel gleichsetzen, ohne GVOs und Pestizide. Die Umfrage zeigt auch, dass EU-Bürger GVO-freie Fleischalternativen wollen.
  • Eine Deregulierung neuer GVOs würde bedeuten, dass Verbraucher, Händler, Bauern und Landwirte nicht mehr in der Lage wären, GVO-freie Lebensmittel zu wählen. Das würde das Vertrauen der Verbraucher in Gütesiegel wie „Bio“, „gU“ und „ggA“ untergraben, die nicht mehr garantieren könnten, dass die Lebensmittel GVO-frei sind.

Slow Food leistet auf verschiedenen Ebenen Lobbyarbeit: durch Zusammenarbeit mit NGOs und dem Handel, durch Einflussnahme auf Länderregierungen und Treffen mit hochgestellten EU-Beamten, um unsere Argumente vorzutragen.

Der Kampf ist noch lange nicht gewonnen! Slow Food wird sich auch weiterhin für Lebens- und Futtermittel ohne Pestizide und GVOs einsetzen. Wir arbeiten für eine Zukunft, in der der Wert von Lebensmitteln und die Würde derjenigen, die sie erzeugen, im Mittelpunkt stehen.

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Genetisch veränderte Organismen (GVOs) sind eine Bedrohung sowohl für die Biodiversität als auch für die Ernährungssouveränität unserer ländlichen Gemeinschaften. Sie führen weiter in Richtung einer immer intensiveren Landwirtschaft mit ausgeprägten Monokulturen, bei der die Arten oft keine historische, kulturelle oder gastronomische Verbindung mehr mit dem Ort haben, wo sie erzeugt werden und den Menschen, die dort leben. Darüber hinaus sind sie eben nicht umweltfreundlicher, auch wenn ihre Befürworter das oft behaupten. Im Gegenteil, transgene Nutzpflanzen schwächen die Artenvielfalt bei wilden und heimischen Tieren und Pflanzen, sie trugen zu einem steigenden Einsatz von Herbiziden in der Landwirtschaft bei, und bis jetzt konnte nicht ausgeschlossen werden, dass sie toxische Wirkung auf die menschliche Gesundheit haben.

Weitere Informationen zu den Aktionen von Slow Food gegen GVOs und was Sie dazu beitragen können, finden Sie auf der Webseite.

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