Slow Food Communities & Projekte zur Biodiversität von Lebensmitteln
21 Jan 2020
Die Slow Food Communities verbreiten die Botschaft von biologischer Vielfalt, agrarökologischen Methoden und Fairness in der Nahrungsmittelkette. Projekte wie die Arche des Geschmacks und die Slow Food Presidi sind für die Gemeinschaften ein Instrument, um ihre Produkte zu fördern und ihre Traditionen zu erhalten.
Mit den über 5000 Produkten der Arche des Geschmacks und den über 500 der Presidi möchte Slow Food den Fokus auf diese besonderen Produkte aus der ganzen Welt richten, die sich durch eine einzigartige biologische Vielfalt auszeichnen. Mithilfe dieser Programme mobilisiert Slow Food sein Netzwerk, um landwirtschaftliche Biodiversität zu fördern. Wir setzen uns für kleine, familienbasierte Systeme zur Lebensmittelproduktion ein, die weltweit durch verschiedene Faktoren bedroht sind: Industrialisierung, genetische Erosion, sich verändernde Konsumgewohnheiten, Klimawandel, Landflucht, Migration und sonstige Konflikte stellen eine ernsthafte Gefahr für die nachhaltigen Kleinbetriebe dar.
Diese Projekte und Communities repräsentieren sowohl die Vielfalt als auch den Reichtum des Slow-Food-Netzwerks. Sie stehen für den Wunsch, lokale Produkte wiederzubeleben, die unerlässlich für die Gemeinschaften und für die ihnen als Lebensgrundlage dienenden Ökosysteme sind, um sie vorm Aussterben und vor dem Verlust des kulturellen Erbes zu bewahren.
Nachfolgend finden Sie einige Beispiele dafür, wie sich die verschiedenen Gemeinschaften mit Projekten zum Schutz der Biodiversität von Lebensmitteln dafür einsetzen, die Philosophie von guten, sauberen und fairen Nahrungsmitteln auf der ganzen Welt zu verbreiten. Und für die Arbeit, die Slow Food leistet, um die Biodiversität zu erhalten und die Öffentlichkeit für die Bedeutung einer kleinteiligen und nachhaltigen Landwirtschaft zu sensibilisieren.
Slow Food Community „Saberes ancestrales de Nariño”
In der kolumbianischen Nariño-Region im Südwesten des Landes, zwischen Pazifischem Ozean und der Grenze zu Ecuador, liefert die Slow Food Ahnengemeinschaft von Nariño ein gutes Beispiel für die Vielfalt und den Reichtum des Slow-Food-Netzwerks. Ziel der Gemeinschaft ist es, zum sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Wohlergehen der ländlichen und städtischen Gemeinden beizutragen.
Nariño liegt – wie fast ganz Kolumbien – in einer Gegend mit großer Artenvielfalt. Von der üppigen Vegetation des Flachlandes in Nähe des Ozeans, über den Nebelwald am Fuße der Berge, bis zum schroffen Hochland der Anden, mit Gipfeln von bis zu 4700 m. Bevor die Spanier in Kolumbien ankamen, hatte Nariño zahlreiche indigene Völker, unter anderen die Quilancingas, Awa, Chinches, Abadaes und Chapanchicas, die seit Jahrhunderten von dem Land gelebt hatten. Heutzutage erstreckt sich die Biodiversität auch auf die Menschen in der Region. Von den afrikanischen Nachkommen in der Gegend von Tumaco, einer Stadt in Meeresnähe, bis zu den vielen indigenen Gemeinschaften, die auf großen Höfen in und um die Hauptstadt Pasto und die Stadt Ipiales leben.
Die Slow Food Ahnengemeinschaft von Nariño engagiert sich für die Förderung von agrarökologischen Bildungsprogrammen. Ziel ist es hervorzuheben, wie wichtig der Schutz und der Erhalt der natürlichen Ressourcen, die Bewahrung der Biodiversität und die Unterstützung der lokalen Gemeinschaften sind. Ebenso wichtig ist es jedoch, den ländlichen und indigenen Gemeinschaften, die Produkte anbauen und auf den lokalen Märkten verkaufen , einen fairen Preis zu bezahlen. Dieses Engagement trägt wesentlich zur landwirtschaftlichen Entwicklung, zur Armutsbekämpfung und zur Ernährungssicherheit der Gemeinschaft bei.
Historisch gesehen war Nariño ein Ort des Zusammentreffens der mesoamerikanischen und andinen Kulturen. Er hat ein außergewöhnlich reiches genetisches und kulturelles Erbe, besonders was Mais anbelangt. Die indigenen, afrikanischstämmigen und ländlichen Gemeinden haben in ihren Produktionssystemen einheimische Maissorten erhalten und angebaut. Diese Sorten spielen jetzt eine wesentliche Rolle dabei, die Ernährungssicherheit und -souveränität der kolumbianischen Bevölkerung zu garantieren.
Nariño ist eine landwirtschaftlich geprägte Region, in der Mais, Kaffee, Weizen, Gerste, Bohnen, Kartoffeln und im Flachland Bananen angebaut werden. Aber die Agrarindustrie verstärkt ihre Präsenz in der Region und viele einheimische Produkte sind inzwischen bedroht. Das Projekt der Arche des Geschmacks von Slow Food hat lebenswichtige landwirtschaftliche Produkte katalogisiert, die aufgrund mangelnder Nutzung vom Aussterben bedroht sind. Dazu gehört auch eine alte Maissorte namens Canguil, was in der Quechua-Sprache Nebel oder Dunst bedeutet, die durch die Einführung ausländischer Maishybridsorten weitgehend in Vergessenheit geraten ist.
Fortaleza dos Queijos de cabra com leite cru do Planalto Norte (Rohmilch-Ziegenkäse des Planalto Norte)
Mit weniger als fünf Zentimetern Niederschlägen pro Jahr leidet die Gruppe der 10 kapverdischen Vulkaninseln stark unter Dürre. Diese katastrophalen Bedingungen haben dazu geführt, dass sich viele Einheimische zur Auswanderung gezwungen sahen und die Inselkette vegetationslos wurde.
Die immer knapper werdenden Ressourcen veranlassten eine kleine Gruppe von Hirten auf der kaum besiedelten Hochebene von Planalto Norte, die unscheinbare kapverdische Ziege zu nutzen, die vor fast 200 Jahren von den Portugiesen auf den Inseln eingeführt wurde.
Diese Ziegen geben eine geringe Menge Milch, aus der in Steinhütten ein mit Lab geronnener reiner Ziegenmilchkäse hergestellt wird, der elfenbeinfarben ist und einen angenehmen Kräutergeschmack hat. Jeder Schritt des Produktionsprozesses erfordert äußerste Sorgfalt, insbesondere im Hinblick auf den Wasserverbrauch, da Wasser aufgrund seiner Knappheit eine extrem wertvolle Ressource für die Gemeinschaft ist.
Die Methoden zur Aufzucht dieser Tiere und zur Herstellung des Käses sind ein Beispiel für die Fähigkeit einer lokalen Gemeinschaft, rauen Umweltbedingungen zu trotzen und gleichzeitig ihr Land und die damit verbundenen Traditionen zu schützen.
Neben dem charakteristischen Geschmack und dem speziellen Produktionsprozess ist es dieser Tatsache zu verdanken, dass der Ziegenkäse aus Planalto Norte in die Arche des Geschmacks aufgenommen wurde. Er wurde 2017 sogar mit dem „Slow Cheese-Preis” ausgezeichnet. Ermutigt durch diese Anerkennung und die von Slow Food geförderte Bekanntheit, konzentrieren sich die Hirten nun darauf, die Zertifizierung für ihr einzigartiges Produkt zu erlangen.
Die kapverdische Ziege, die als Landrasse eingestuft wird, braucht nur wenig zum Überleben. Die Tiere garantieren damit eine nachhaltige Sicherung des Lebensunterhalts der isoliert lebenden Gemeinschaften. Das sorgte natürlich dafür, dass die Hirten eine enge Bindung zu diesen Tieren aufgebaut haben. Die Ziegen werden nur zu besonderen Anlässen geopfert. Sie sind meist für den Verzehr der Gemeinschaft reserviert und werden nur bei extremer finanzieller Notlage auf dem Markt verkauft.
Slow Food Community: Hualien – Taiwan zum Erhalt der indigenen Biodiversität
Die Förderung der indigenen Saatgutsorten und die Unterstützung ihrer Bewahrer ist grundlegend für die Verwirklichung des Ziels von Slow Food, gute, saubere und faire Lebensmittel für alle zu gewährleisten.
Die Community zum Erhalt der Indigenen Biodiversität mit Sitz in Hualien, Taiwan, an der Ostküste des Landes, arbeitet unermüdlich daran, die Grundlagen der indigenen Bevölkerung für Saatgut- und Gemüsekonservierung zu erweitern. Von 2017 bis 2019 hat die Gemeinschaft erfolgreich 28 indigene Saatgutsorten angepflanzt und hofft, bis Ende 2020 50 Sorten anzubauen.
Alle drei Monate organisiert die Slow Food Community Aktivitäten rund um den Austausch und die Erhaltung von Saatgut sowie Veranstaltungen, bei denen Saatguthüter Erfahrungen austauschen können, um das Know-How der gesamten Gemeinschaft zu erweitern.
Laut dem Sprecher der Gemeinschaft, Wu Hsueh-Yueh, soll jetzt „eine Plattform von traditionellen Amis-Gemüsesorten aufgebaut werden und die Mitglieder der Gemeinschaft engagieren sich für den Erhalt und den Austausch der Samen.“ Die Gemeinschaft hat auch eine Zusammenarbeit mit dem Projekt Hualien Tribal College gestartet, um den Erhalt von Saatgut und wildwachsenden Pflanzen zu fördern.
Eine dieser Pflanzen ist eine Farngattung namens Diplazium. Alle drei Unterarten sind essbar, aber überwiegend wird die Sorte Diplazium esculentum angebaut. Die anderen beiden Sorten, Diplazium dilatatum und Diplazium muricatum, sind oft in den Bergregionen zu finden. Diese Farne werden jung verzehrt und haben raue, eingerollte Wedel, die bei der Ernte leicht verwechselt werden. Sie müssen daher unbedingt von den Athyriaceae-Arten unterschieden werden. Die Farnarten erfreuten sich wachsender Beliebtheit und wurden so zu einem Symbol der kulinarischen Kulturen der Stämme, die diese Bergregionen bewohnen.
Aber man muss sehr vorsichtig mit den Farnen umgehen. Sie weisen einen hohen Gehalt an Ptaquiloside auf, besonders wenn es junge Pflanzen sind. Es ist wissenschaftlich bewiesen, dass Ptaquiloside krebserregend ist und Magenkrebs verursachen kann. Der Stoff ist jedoch wasserlöslich und zersetzt sich bei hohen Temperaturen. Deshalb werden die Farne oft gekocht gegessen.
Derzeit dienen örtliche Bauernhöfe, wie Hualien Bay, Shoufong und Tafalong als Stützpunkte, um die Farne anzupflanzen, zu züchten und zu konservieren. Die Slow Food Community widmet sich der Katalogisierung der Artenvielfalt vor Ort und der Ernennung weiterer Produkte für die Arche des Geschmacks.
Navet du Pardailhan (Frankreich)
Pardhailhan ist ein kleines Dorf in der Languedoc-Region in Südfrankreich. Die Gemeinschaft besteht aus Menschen, die offiziell keine Landwirte sind, sie betreiben Landwirtschaft als Nebentätigkeit. Ihr Ziel ist es, die Schwarze Pardailhan-Rübe zu schützen, ein grundlegendes Produkt für die Gemeinschaft.
Oft wird die Rübe unter dem Namen Navet de Pardailhan verkauft, weil sich so ein besserer Preis erzielen lässt. Die Besonderheit des Produkts besteht im unverwechselbaren Geschmack der Rübe, die der Beschaffenheit des Bodens und den klimatischen Bedingungen zu verdanken ist.
Die Pardailhan-Rübe ist seit dem Mittelalter bekannt und fand auch in der Literatur der Zeit Erwähnung. Nach den Weltkriegen und im Zuge der Abwanderung der Menschen in größere Städte nahm der Anbau der schwarzen Rübe immer mehr ab, bis das Produkt schließlich Gefahr lief, auszusterben.
Die Klimakrise wirkt sich auch auf den Produktionskreislauf der Pardailhan-Rübe aus. Die Regenfälle im August waren entscheidend für die Keimung der Samen, die für die Herbst- und Winterernte gepflanzt wurden. Aber die Niederschläge wurden immer unvorhersehbarer und zeitweilig sehr selten.
Die Rübe wird oft mit Gänsefett und Zucker zubereitet, wodurch ein unnachahmlich köstlicher Karamellisierungseffekt entsteht.
Elian Robert ist der Vorsitzende der Community und setzt sich seit Jahren für die Vermarktung dieses Produkts ein. Er ist begeisterter Verfechter des Austauschs von Kenntnissen und Rezepten rund um die „Navet de Pardailhan“.
Das Engagement der Community ist ein Schlüsselfaktor für den Aufbau eines stärkeren Netzwerks, um die lokale Biodiversität, das Land und die Souveränität der Menschen aufzuwerten und zu schützen. Slow Food wird die Communities auf der ganzen Welt weiterhin in ihrem Kampf für den Schutz ihres kulinarischen und kulturellen Erbes unterstützen und sich für ein gutes, sauberes und faires Ernährungssystem einsetzen.
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