Schlecht für die Gesundheit, schlecht für die bäuerliche Landwirtschaft

02 Nov 2015

AllevDie Europäische Union plant eine Tierarzneimittelverordnung

Zu den Merkmalen der industriellen Tierhaltung gehört, dass die Tiere an den Produktionsprozess angepasst werden und nicht umgekehrt. Das ist für die Tiere ein großer gesundheitlicher Stress. Entgegen der Behauptungen von Industrie, Bauernverband und mancher Behörden über die Segnungen der „modernen Tierhaltung“ lässt sich dieser Stress nicht vollständig durch Hygienemaßnahmen ausgleichen. Medikamente gehören zur industriellen Tierhaltung wie Leguminosen zum Ökolandbau – es geht nicht wirklich ohne sie.

Der Einsatz von Medikamenten, insbesondere Antibiotika, in der Tierhaltung ist heute besorgniserregend hoch. Nach einem Allzeithoch in 2011 mit über 1.700 Tonnen Antibiotika in deutschen Ställen ist die Menge zwar zurückgegangen. Doch dafür werden vermehrt Wirkstoffe wie Fluorchinolone oder neue Cephalosporine an Tiere vergeben, die von der Weltgesundheitsorganisation als „Wirkstoffe mit besonderer Bedeutung für die Therapie beim Menschen“ eingestuft werden.

Die riesigen Mengen sowie der Einsatz von Antibiotika zur Prophylaxe und Metaphylaxe und der Rückgriff auf Reserveantibiotika machen die industrielle Tierhaltung zu einer wichtigen Quelle für multiresistente Keime. Diese Bakterien, gegen die kein Antibiotikum mehr hilft, machen einfache Infektionen zu lebensgefährlichen Krankheiten. Sie kommen vermehrt in Regionen mit hoher Tierdichte vor. LandwirtInnen bilden eine Risikogruppe, die besonders oft multiresistenten Keimen ausgesetzt ist. Doch diese vermehren sich auch außerhalb der Ställe und können so jedeN treffen. Es ist deshalb dringend notwendig, den Einsatz von Antibiotika in der Tierhaltung zu reduzieren. Doch eine effektive Regulierung, die den Antibiotikaeinsatz einschränkt, ist bisher nicht geplant.

Nun hat sich auch die EU-Kommission in Brüssel dem Thema angenommen. Da Tiere, tierische Produkte und sogar Gülle im europäischen Binnenmarkt grenzüberschreitend gehandelt werden, ist es sinnvoll, die Zulassung und den Einsatz von Tierarzneimitteln auf europäischer Ebene zu regeln. Doch die Kommission möcht die Verfügbarkeit von Tierarzneimitteln zu verbessern und den Vertrieb zu erleichtern. Mehr und nicht weniger Medikamente im Stall sind das explizite Ziel ihrer Verordnungsvorschläge.

Dennoch schreibt sich die Kommission auch die Eindämmung der Antibiotikaresistenzen auf die Fahne. So möchte sie Wirkstoffe benennen, die für die Behandlung von Menschen vorbehalten sind. Neue Tierarzneimittel mit diesen Wirkstoffen könnten dann nicht mehr zugelassen werden. Ein Mechanismus, mit dem Produkte verboten werden, die Reserveantibiotika enthalten und bereits auf dem Markt sind, ist jedoch nicht geplant – ein zahnloses Instrument gegen ein immer größeres Problem.

Zudem plant die Kommission, Zulassungsverfahren zu vereinfachen, den Verkauf von Tierarzneimitteln im Internet zu erlauben und die Kontrolle der Verbreitung von Wirkstoffen und Nebenwirkungen vor allem den Firmen zu überlassen, die die Mittel herstellen. Die Befristung der Zulassung auf bisher fünf Jahre soll abgeschafft werden. Mehrere Paragraphen beschäftigen sich mit Ausnahmen, die die Verabreichung von nicht für die behandelten Tiere zugelassenen Arzneimitteln erlauben. Dadurch werden Schlupflöcher für findige schwarze Schafe in der Veterinärmedizin geschaffen mit der Option, mit ausreichender Begründung alles verabreichen und verkaufen zu können, was sie wollen.

Die Liberalisierung bei Tierarzneimitteln festigt das Geschäftsmodell der Agrarindustrie, das auf billige Produktion setzt, indem Kosten der Gesellschaft auferlegt werden. Sie vergrößert den regulatorischen Abstand, insbesondere zwischen Bio-Betrieben und den Betrieben, die die Regeln an der unteren Grenze ausreizen. Einfacher ausgedrückt: Je doller es die Agrarindustrie treiben kann, umso größer der Preisdruck auf die bäuerlichen und ökologischen Betriebe.

Dabei liegen einige Ansätze für eine sinnvolle Regulierung auf der Hand: Reserveantibiotika, die für die Behandlung von Menschen eine besondere Bedeutung haben, sollten nicht in Ställen eingesetzt werden. Tiere, die nicht krank sind, sollten auch keine Medikamente bekommen. Damit es keine wirtschaftlichen Anreize für TierärztInnen gibt, so viel wie möglich zu verschreiben, muss der Vertrieb der Arzneimittel und die Behandlung der Tiere getrennt werden. Doch die eigentliche Lösung liegt nicht in der Regulierung von Medikamenten, sondern bei der Tierhaltung: Haltungsformen, die notwendigerweise krank machen, sollte es nicht geben.

Nun liegt es am Europäischen Parlament, das diesen Herbst seine Position zu den Vorschlägen der Kommission festlegen wird. Der Entwurf der konservativen Berichterstatterin Grossetête hat vor allem die Interessen der Pharmaindustrie beim Zulassungsverfahren im Blick. Es gibt jedoch auch einige vielversprechende Änderungsanträge. Das Ergebnis hängt nicht zuletzt davon ab, wie viel öffentliche Aufmerksamkeit das Thema bekommt und wie viel Druck die Zivilgesellschaft aufbauen kann.

Mit Lebensmitteln die Welt verändern

Erfahren Sie mit unserem RegenerAction-Toolkit, wie Sie Ökosysteme, Communities und Ihre eigene Gesundheit verbessern können.

Bitte aktiviere JavaScript in deinem Browser, um dieses Formular fertigzustellen.
Name
Privacy Policy
Newsletter