Im Gespräch mit Miryam Gorban – Agrarökologie
27 Aug. 2018

Miryam Gorban ist eine entschlossene und fröhliche Argentinierin, die klare Worte liebt. Sie blickt auf 87 Jahre zurück, in denen sie Erinnerungen und Mut gesammelt, sowie eine präzise Analysefähigkeit und umsichtige Führungsqualitäten im Kampf für Ernährungssouveränität aufgebaut hat. Aus ihren Augen blitzt der Geniefunken einer Person, die ihr Leben höheren Idealen gewidmet hat und über ausgeprägte Geistesschärfe verfügt. Miryam koordiniert heute den Freien Lehrstuhl für Ernährungssouveränität der Università di Buenos Aires, einen der 40 des Landes.
Sie stammt ursprünglich aus Santiago dell’Estero und hat ihr Leben den Themen Bildung, Gesundheit und Ernährung gewidmet. Anfangs arbeitete sie als Lehrerin, um dann nach Buenos Aires umzuziehen und an der Fakultät für Medizin Ernährungswissenschaft zu studieren. Noch vor Abschluss des Studiums, der letztlich mit 60 Jahren erfolgte, begann sie für das Gesundheitsministerium zu arbeiten.
Das Jahr 1996 veränderte ihr Leben. Sie nahm am Welternährungsgipfel der FAO teil, kam mit der Organisation Via Campesina in Kontakt, die genau zu diesem Anlass den Begriff der Ernährungssouveränität prägte. Miryam verstand, dass es ein Netzwerk von Personen auf der Welt gibt, die sich für diese Themen einsetzen, die ihr so lieb sind. Im selben Jahr öffnete die argentinische Regierung dem genetisch veränderten Soja die Türen und räumte dem Anbau davon große Flächen ein, wodurch Argentinien das erste Testlabor für gvO-Anbau unter freiem Himmel wurde.
2003 entstand der erste Freie Lehrstuhl für Ernährungssouveränität in La Plata. Heute gibt es davon 40 an den renommiertesten Universitäten des Landes, von den Anden bis nach Patagonien. «Die Lehrstühle haben unterschiedliche Zielsetzungen», erzählt Miryam. «In erster Linie sollen sie einen theoretischen und praktischen Ort der Bildung über Ernährungssouveränität schaffen; außerdem die Verbindung zwischen verschiedenen Wissensdisziplinen herstellen, sowie soziale und produktionsbezogene Erfahrungen fördern, die dabei helfen, auf örtlicher Ebene Alternativen zu schaffen und den Dialog anzuregen, damit auch die öffentliche Politik Ernährungssouveränität fördert.»
Miryam erklärt, was es mit dem Namen des Lehrstuhls auf sich hat. «Er heißt freier Lehrstuhl, weil er von einer interdisziplinären Gruppe aus Studenten, erfahrenen Fachleuten wie Ärzten, Anthropologen, Soziologen und Anwälten in Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft gegründet wurde. Wir nähern uns dem Thema Ernährung aus verschiedenen Perspektiven. Dabei treibt uns immer die Überzeugung an, dass die Ernährung der Mittelpunkt des menschlichen Lebens und ein Lebensmittel keine Ware ist, sondern ein Gut und ein Recht der Menschen». Ihr Lehrstuhl bringt beispielsweise eine Reihe von Werkheften heraus, wobei gemeinschaftlich die interessantesten Forschungen und die dringendsten Themen ausgewählt werden. Diese Werkhefte regen den Dialog und den Meinungsaustausch an.
In ihren Schriften schreibt Miryam über eine Krise der Zivilisation, über die Verantwortung der neoliberalen Wirtschaften, die nicht nur den Zugang zu Nahrung verweigern, sondern damit auch zu Arbeit, Bildung, Gesundheit, Unterkunft und einem menschenwürdigen Leben. «Schauen wir uns nur einmal die Gesundheit an: Heutzutage ist ein Teil der Weltbevölkerung unterernährt, der andere Teil ist überernährt, mit höherem Grad an chronischen Krankheiten und Diabetes, die vom neuen industrialisierten Ernährungsmodell herrühren. Auch für die Umwelt sind die Folgen gravierend: das derzeitige Modell der Lebensmittelproduktion beruht auf der massiven Ausbeutung des Bodens, Monokulturen, Abholzung der Wälder, Verschmutzung der Flüsse, Exportlandwirtschaft, etc. All diese Faktoren begünstigen den Klimawandel. Respekt für die biologische Vielfalt und Entwicklung der Agroökologie sind grundlegende Aspekte des Konzepts der Ernährungssouveränität.»
«Insbesondere die Agroökologie verlangt nach öffentlicher Politik und darf nicht von privaten Interessen bestimmt werden. In Argentinien gibt es im gesamten Land interessante Betriebe, die Zugang zu Krediten und Bildung benötigen und durch entsprechende Vertriebs- und Produktionskanäle gefördert werden müssen. Stattdessen steigen sowohl die Landpreise als auch die festen Produktionskosten. Das führt dazu, dass der Preis der landwirtschaftlichen Erzeugnisse für die Landwirte keine ausreichenden Einkünfte generiert und gleichzeitig für die Verbraucher zu hoch ist. Beide verlieren und damit verlieren wir alle.»
Miryam Gorban wird zu Terra Madre Salone del Gusto (Turin, 20.-24. September) kommen und am Forum „Das Gift auf dem Teller” am Donnerstag, den 20. September von 16 bis 18 Uhr, im Bereich Slow Seeds mitwirken.
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