Marina Santos: Naturwein Als Form Des Widerstands

17 Feb. 2022

Eine der Kernthesen Des Manifests von Slow Food fügutensauberen und fairen Wein ist, dass die Winzereien eine wichtige Rolle beim Schutz der Landschaft, der natürlichen Ressourcen und der Biodiversität spielen. Die Kulturlandschaften, wo Reben angebaut werden, sind genau so vielfältig wie die Weine selbst, aber ihre Zukunft ist in Gefahr – aufgrund von menschlichen Aktivitäten und dem daraus resultierenden Klimawandel.

Im Vorfeld UNSERER ONLINE-KONFERENZzu diesem Thema haben wir mit einer der Referentinnen, Marina Santos aus Rio Grande Do Sul, Brasilienüber ihre Arbeit gesprochen. Sie widmet sich der Herstellung von Naturwein und dem Schutz  bedrohter Sorten in einer oftmals feindlichen Umwelt. 

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Was sind Ihre ersten Erinnerungen an die Weinwelt?

Ich stamme nicht aus einer Weinbauregion und meine Familie hatte nie besonders viel mit Wein zu tun. Meine erste Erfahrung machte ich vor 17 Jahren, als ich mit 23 Jahren meinen jetzigen Mann Israel kennenlernte. Drei Monate später zogen wir gemeinsam in seine Heimatstadt Pinto Bandeira, die in einer Weinbauregion liegt.

Ich war fasziniert von der Landschaft und dem Weinbau und fand es sehr schade, dass die Trauben nicht sauber angebaut wurden, sondern auf den Feldern und bei der Weinbereitung viel Pestizide und andere Chemikalien  verwendet wurden. Ich fragte mich, ob das nicht auch anders ginge und wollte den echten Geschmack des Weins entdecken – ohne Giftstoffe und chemische Konservierungsmittel. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte, aber meine Leidenschaft für Wein war stärker als alles andere. Sie beherrschte meine Gedanken, meine Tage, und bald ließ ich alles stehen und liegen, um meinen Traum zu verwirklichen und naturreinen Wein herzustellen.

Vinho Unna bei der Messe Slow Wine 2022

Besuchen Sie die Online-Konferenz zum Schutz der Weinbaulandschaften am 24. März um 18 Uhr MEZ. Im Anschluss können Sie die Weine von Vinha Unna bei der Masterclass für Lateinamerikanischen Wein am 27. März um 17.30 Uhr MEZ selbst verkosten. 

Wie begannen Sie mit der Weinherstellung?

Anfangs machte ich einen Kurs als Sommelier, sowie einen Kurs in Weinbau und Önologie. Aber je mehr ich lernte, desto weniger spürte ich eine Verbindung. Nachhaltigkeit und Spontangärung waren nirgends ein Thema. Also schaute ich über den Tellerrand hinaus und begann mit Bauern und Forschern im Bereich Nachhaltigkeit zu sprechen.

 

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Im Jahr 2010 kauften wir dann etwas Land und wurden selbst Weinbauern und Winzer von Naturweinen. Zuerst kauften wir die Trauben für unseren Wein von anderen Bio-Bauern zu, aber seit 2014 haben wir unsere eigene kleine Produktion: nur 300 spontan vergorene Flaschen im ersten Jahr, alle ungefiltert und ohne Konservierungsmittel. Trotz der geringen Menge war das Experiment ein voller Erfolg: Die Reinheit, die Sauberkeit und die Vielschichtigkeit der Aromen, die sich mit der Zeit entfalten, kamen bei den Leuten gut an. Unsere Weine entsprachen genau meiner Vorstellung von Naturwein.

Mit welchen Herausforderungen waren Sie als weibliche Winzerin in Brasilien konfrontiert?

Schon die Tatsache, dass ich eine Frau bin, schließt mich von vielen Dingen aus. Dadurch, dass ich die Idee von Naturwein und nachhaltiger Produktion in einem Land, das zu den größten Pestizidverbrauchern der Welt gehört, vehement verteidige, habe ich mir natürlich einige Feinde gemacht. Ich glaube, die größte Herausforderung für Frauen – und zwar nicht nur in der Weinwelt, sondern in vielen Bereichen – ist es, sich Gehör zu verschaffen und ernst genommen zu werden.

Es gibt politische Interessen, die Frauen zurückhalten. Besonders, wenn sie für etwas eintreten, an das sie glauben und sich im Recht wissen. Meine Stimme hallt in der ganzen Welt wider, aber in meinem eigenen Land, meiner Region, ist sie nach fast zehn Jahren verstummt. Leider  gibt es noch viel zu tun: Brasilien ist kein sicheres Land für Umweltschützer, und noch weniger für Umweltschützerinnen.

Welche Auswirkungen hat der Klimawandel in Ihrer Region und inwiefern betrifft das den Weinbau?

Die Auswirkungen sind vielfältig und schwerwiegend. Die Region, in der ich lebe und arbeite, befindet sich in Südbrasilien, in einem Biom namens Mata Atlântica 850 Meter über dem Meeresspiegel. Es ist ein Regenwald und einer der Orte, wo die Biodiversität besonders bedroht ist. Es handelt sich um eine der wenigen Regionen Brasiliens, in denen es klar abgegrenzte Jahreszeiten gibt.

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Seit 2017 jedoch hat sich das Klima drastisch verändert: In dem Jahr gab es praktisch keinen Winter. Früher hatten wir mindestens zwei Monate pro Jahr Minusgrade und täglich Frost. Durch das Fehlen der kalten Temperaturen setzte der Austrieb der Reben über 20 Tage früher ein. Der Frühling war in dem Jahr so verregnet wie seit 70 Jahren nicht mehr: Die übermäßigen Niederschläge und der Mangel an Licht verursachten Krankheiten an den Weinstöcken. Selbst die Winzer, die ihre Sommerlese retten konnten, verloren sie kurze Zeit später durch Hagelstürme,die ganze Weinberge zerstörten.

Seit dieser Katastrophe 2017 gab es in unserer Region keine Rückkehr zu normalen Jahreszeiten. Es gibt keinen Winter mehr und der Frühling ist extrem trocken. Die Produktion ist nur möglich, wenn man mindestens ein Mal bewässert, und im Sommer verzeichnen wir extreme Stürme, Hagel und Wind. Diese Veränderungen beeinflussen den phänologischen Zyklus der Reben und die Trockenheit erodiert die Böden. Besonders gravierend ist, dass dies nicht nach und nach geschah, so dass sich die Tier- und Pflanzenarten anpassen konnten, sondern sehr schnell. Und die Lage wird immer schlimmer. Während ich schreibe, herrscht in meiner Region eine Hitzewelle mit Temperaturen von bis zu 50ºC: So etwas hatten wir noch nie zuvor!

Sie stellen nicht nur Wein her, sondern betreiben über das Projekt Terroir ancestral auch Forschung.

Terroir Ancestral ist ein Forschungsprojekt über die ersten Rebsorten, die in der Region gepflanzt wurden:  Wie sie sich an die Gegebenheiten anpassten und verhielten, welche Eigenschaften die Weine haben und warum einige dieser Rebsorten nicht mehr angebaut werden und daher fast gänzlich verschwunden sind. Brasilien hat keine nativen Rebsorten, wie lange braucht also eine Rebsorte aus einer beliebigen anderen Gegend, um sich hier anzupassen? Was bedeutet Anpassung eigentlich und warum ist sie notwendig?

Die Anpassung einer Rebsorte beginnt damit, wie sie sich auf der Anbaufläche verhält und hängt davon ab, wie sie bewirtschaftet wird, wie sie auf Belastungen reagiert, auf den Klimawandel, auf den Überfluss oder Mangel an Nährstoffen im Boden – also ihre Resilienz… Jedes Jahr werden neue Rebsorten nach Brasilien eingeführt mit dem Versprechen, produktiver zu sein und weniger Eingriffe oder  phytosanitäre Behandlung zu erfordern. Aber ist es so einfach? Natürlich nicht. Wir müssen dringend über Anpassungsfähigkeit im Weinbau sprechen. Die Ergebnisse können wir jeden Tag anhand der alten Rebsorten sehen, die sich gut angepasst haben und in Zeiten eines sich wandelnden Klimas nachhaltig angebaut werden.

Eine dieser Rebsorten ist die Peverella… welche Bedeutung hat sie?

Ich habe eine ganz nostalgische Beziehung zur Sorte Peverella (einem Produkt der Arche des Geschmacks). Meine Neugier wurde durch die Recherchen geweckt, die wir im Rahmen von Terroir Ancestral vorgenommen haben. Ich wollte die Sorte anpflanzen, da ihr Name den älteren Winzern, mit denen ich sprach, im Vergleich zu den anderen alten Rebsorten das größte Lächeln entlockteaber ich kam zu spät. Heute gibt es nur noch knapp fünf Hektar davon und niemand schenkt ihr große Beachtung, wie so vielen anderen vergessenen Sorten. Aber ich glaube weiterhin daran, diese alten, gut angepassten Rebsorten zu retten und dadurch die Folgen des Klimawandels einzudämmen. 

Was erhoffen Sie sich für Ihren Betrieb, Vinha Unna, und für den brasilianischen Weinbau im allgemeinen?

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Vinha Unna ist bereits seit geraumer Zeit mehr als nur ein Projekt für die Herstellung von Naturwein. Es ist eine Form des Widerstands, ein soziales, technisches und agrarökologisches Experiment… es bietet einen Grund an die Möglichkeiten zu glauben, die wir haben. Ich sehe es immer mehr in diesem Licht. Meine Hoffnungen für die Zukunft des Naturweins in Brasilien liegen auf der Jugend. Die junge Generation ist kritischer und stellt mehr Fragen, das ist schon der erste Schritt zu einem Wandel.

Zu guter Letzt… warum haben Sie entschieden, sich der Slow Wine Coalition anzuschliessen?

Ich arbeite seit nunmehr sieben Jahren mit Slow Food zusammen und glaube an die Philosophie der Arbeit in einem Netzwerk, in dem viele Menschen mit Ideen zusammenarbeiten und miteinander verbunden sind.Gut, sauber und fair sind Prinzipien, die von großer Bedeutung sind. Wenn wir alleine arbeiten, können sie unerreichbar scheinen – nicht so in einem Netzwerk. 

In der Slow Wine Coalition treffe ich zahlreiche inspirierende Personen, wohingegen der Rest der Weinwelt viel individualistischer ist, weniger engagiert und auf Zusammenarbeit ausgerichtet. Ich möchte sehen, wie das Bündnis wächst und  angesichts der immer größer werdenden Herausforderungen zu einer Inspirationsquelle für uns alle wird. Die Welt erlebt tiefgreifende Veränderungen, und die meisten davon sind nicht gut. Deshalb müssen wir uns zusammentun und gemeinsam handeln, wenn wir auf lange Sicht wirklich positive Veränderungen bewirken wollen. 

BESUCHEN SIEDIE KONFERENZ ZUM SCHUTZ DER WEINBAULANDSCHAFTEN ONLINE AM 24. MÄRZ 2022 UM 18 UHR MEZ.

 

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