Landwirtschaft mit Zukunft: Aktionswoche gegen Pestizide
20 März 2020
Vom 20. bis 30. März findet die 15. Pestizid-Aktionswoche statt, um ein Bewusstsein für die Gefahren zu schaffen, die der Einsatz chemischer Pflanzenschutzmittel in der Landwirtschaft für Mensch, Tier und Umwelt birgt. Seit über 20 Jahren arbeitet die französische Organisation „Générations Futures“ zu diesem Thema und legt verursachte Schäden dar. Jedes Jahr ruft sie Landwirt*innen, Organisationen, Verbraucher*innen und institutionelle Akteur*innen auf, sich Ende März gemeinsam dieses Themas anzunehmen. Auch Slow Food gehört zu den Partnern.
Das Thema Pestizide ist hoch aktuell in Europa, man denke allein an den mit rasantem Tempo voranschreitenden Biodiversitätsverlust sowie das Bienensterben. Auch auf der politischen Agenda ist das Thema von höchster Brisanz: im Zeitraum der Pestizid-Aktionswoche plant die Europäische Kommission, ihre „Farm to Fork“-Strategie zu veröffentlichen, d.h. den Teil des Green Deal, der es der EU ermöglichen soll, einen echten Fortschritt im Erreichen der Nachhaltigkeitsziele zu machen und den großen Herausforderungen, vor denen unsere Ernährungssysteme stehen, zu begegnen. Es wird interessant sein zu sehen, wie viel Raum der – wenn auch schrittweisen – Aussetzung von Pestiziden eingeräumt wird und welche Maßnahmen geplant werden, um den Übergang der europäischen Landwirtschaft zu nachhaltigeren Anbausystemen wie dem agrarökologischen Ansatz sicherzustellen.
Pestizideinsatz: Status quo in der EU
Der Europäische Rechnungshof hat den Bericht „Nachhaltige Nutzung von Pflanzenschutzmitteln: begrenzte Fortschritte bei der Messung und Verringerung von Risiken“ veröffentlicht und überprüft, ob die im Bereich Landwirtschaft festgelegten Maßnahmen der EU sich positiv ausgewirkt hätten. Das Ergebnis fiel leider negativ aus. Zum Beispiel haben nicht alle EU-Mitgliedstaaten in ihr nationales Recht festgeschrieben, dass die Landwirt*innen integrierten Pflanzenschutz anwenden müssen (eine Kombination von Verfahren, bei denen unter vorrangiger Berücksichtigung biologischer, biotechnischer, pflanzenzüchterischer sowie anbau- und kulturtechnischer Maßnahmen die Anwendung chemischer Pflanzenschutzmittel auf das notwendige Maß beschränkt wird). Darüber hinaus gäbe es keine Anreize für Landwirt*innen, die Nutzung und ihre Abhängigkeit von Pestiziden zu verringern. Der EU Rechnungshof wies auch darauf hin, dass die Anwendung des integrierten Pflanzenschutzes nicht als Bedingung für den Erhalt von Agrarsubventionen im Rahmen der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) vorgesehen ist. Der europäische Gerichtshof hat ferner aufgedeckt, dass die von der Kommission (Eurostat) veröffentlichten Statistiken über einzelne Wirkstoffe und ihre Verwendung nicht detailliert genug und somit nicht wirklich nützlich waren. Die Datenlage und Informationen für die EU-Mitgliedsstaaten sind demnach höchst unzureichend.
Pestizidkonzerne wehren sich mit Händen und Füßen
Leider kämpfen Ackergiftkonzerne wie Bayer-Monsanto, BASF und Syngenta sowie die Regierungen der Vereinigten Staaten und Kanadas mit Händen und Füßen gegen europäische Vorschriften gegen Pflanzenschutzmittel wie Pestizide, Herbizide und Insektizide, und das bislang mit Erfolg. Sie wollen sich die finanziellen Einkünfte durch einen beschränkten Handel mit der EU nicht entgehen lassen. So wird die Drohung mit Zöllen genutzt, um die EU von der Umsetzung eines Verbots von Ackergiften wie Pestiziden abzuhalten. Die Verhandlungen sind aktuell in vollem Gange.
Glücklicherweise hat auch die wissenschaftliche Gemeinschaft Stellung zu diesem wichtigen Thema bezogen: 24 Forschungsinstitute aus 16 europäischen Ländern gaben am 23. Februar während der Internationalen Landwirtschaftsausstellung in Paris eine Erklärung ab, in der sie feststellten, dass „eine starke Nachfrage von öffentlichen Behörden, landwirtschaftlichen Fachleuten und der Gesellschaft in ganz Europa eine gemeinsame Forschungsanstrengung zur Beschleunigung des Übergangs zur Agrarökologie vorangetrieben hat“. Um sich dieser Herausforderung zu stellen, haben sie die gemeinsame Absichtserklärung „Auf dem Weg in eine chemiefreie Landwirtschaft“ veröffentlicht, in der vorgeschlagen wird, die Art und Weise, wie Forschung betrieben wird, zu überdenken und für Europa neue gemeinsame Strategien zu entwickeln.
EU-Bürgerinitiative Bienen und Bauern retten
Die Pestizid-Aktionswoche reiht sich ein in die Forderungen der aktuell laufenden EU-Bürgerinitiative Bienen und Bauern retten, die von 90 europäischen Organisationen – darunter Slow Food – aus 17 Ländern unterstützt wird. Bei der Initiative geht es um die Umstellung auf eine zukunftsfähige und somit bienenfreundliche Landwirtschaft, denn aktuell steht die industrielle Landwirtschaft mit ihrem hohen Pestizideinsatz in direktem Zusammenhang mit dem Artensterben und vor allem dem Kollaps von Bienenbeständen und anderen für die Lebensmittelproduktion bedeutungsvollen Bestäubern.
Die Kampagne fordert, folgende Maßnahmen in der EU gesetzlich zu verankern:
- Schrittweiser Ausstieg aus synthetischen Pestiziden
Der Einsatz synthetischer Pestizide in der EU-Landwirtschaft soll bis 2030 um 80% reduziert werden. Bis 2035 sollen die EU-Mitgliedstaaten komplett pestizidfrei sein.
- Maßnahmen zur Erholung der Biodiversität
Biotopflächen sollen wiederbelebt und landwirtschaftliche Flächen so gestaltet werden, dass sie die Artenvielfalt fördern.
- Unterstützung von Bäuerinnen und Bauern → Gendern wir hier nicht?
Die Landwirt*innen müssen beim notwendigen Übergang zur Agrarökologie unterstützt werden. Kleinteilige, vielfältige und nachhaltige landwirtschaftliche Strukturen sollen unterstützt, der Ökolandbau ausgebaut sowie die Forschung zu pestizid- und gentechnikfreiem Anbau gefördert werden.
Ihre Unterschrift für die Kampagne Bienen und Bauern retten
Ziel der Initiative ist es, bis September 2020 eine Million Unterschriften von EU-Bürger*innen zu sammeln und diese der EU zu übergeben. Dann sind die EU-Kommission und das EU-Parlament dazu verpflichtet, die Forderungen der Initiative gesetzlich umzusetzen. Seit den Anfängen der Organisation macht sich Slow Food mit Projekten wie der Arche des Geschmacks für den Erhalt der biokulturellen Vielfalt stark und fordert die Beendigung des Einsatzes von bienen- und umweltschädlichen Pestiziden und dem damit verbundenen Biodiversitätsverlust. Unter dem Motto #EchteVielfalt stellt Slow Food Deutschland das Thema Biokulturelle Vielfalt 2020 als Jahresthema ins Zentrum des Vereinsgeschehens, inhaltlich und auch im Hinblick auf Aktionen und Events.
Jetzt die Kampagne unterschreiben: https://www.slowfood.com/de/save-bees-farmers/
Was unternimmt Europa für den Bienen- und Insektenschutz?
Obwohl bekannt ist, dass wir Bienen und andere Bestäuber zur Bestäubung von Kulturpflanzen brauchen und auch die Biodiversität für die Ernährungssicherung und -souveränität zu erhalten ist, geschieht zu wenig, um deren Verlust aufzuhalten. Und das, obwohl ganz eindeutig ist, dass Ackergifte wie Pestizide, Herbizide und Insektizide der Ernährungs- und Artenvielfalt schaden. In Europa wurde die Verwendung einiger Neonikotinoide verboten: solche, für die es reichlich Beweise für ihre Toxizität für die Bestäuber gibt. Diese Maßnahmen sind jedoch unzureichend, da das derzeitige System der Risikobewertung auf der Sterblichkeit erwachsener Bienen basiert. Aber, wie die Forschung gezeigt hat, provozieren die gesetzlich erlaubten Dosen dieser Insektizide einen Orientierungsverlust und gefährden das Immun- und Reproduktionssystem der Bienen. Ferner können diese Auswirkungen über Generationen weitergegeben werden, da sich die Larven, die auf kontaminierten Pollen aufgezogen werden, nicht richtig entwickeln, was zum Zusammenbruch von Bienenvölkern führen kann. Es liegt also noch ein weiter Weg vor uns. Das zeigt, warum wir uns basisdemokratisch organisieren müssen und mit Initiativen wie der EU-Bürgerinitiative Druck auf EU-Entscheidungsträger*innen ausüben müssen.
Mehr Informationen zum Slow-Food-Deutschland-Jahresthema #EchteVielfalt:
https://www.slowfood.de/was-wir-tun/2020-jahresthemen/echtevielfalt
Mehr Informationen zur Pestizid Aktionswoche:
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