Europäische Städte ebnen den Weg für gesunde, faire und nachhaltige Lebensmittelsysteme
20 Mai 2021
Slow Food ist stolzer Partner des Projekts Food Trails, eine auf vier Jahre angelegte Initiative, in deren Rahmen in 11 europäischen Städten Pilotprojekte entwickelt werden, um gemeinsam eine städtische Lebensmittelpolitik zu entwickeln.
Ziel ist es, einen Mentalitätswandel zu umweltfreundlicherem Verhalten und einer Ressourcennutzung ohne Verschwendung einzuleiten. Dabei sollen die Gemeinschaften unterstützt und für alle Menschen eine gesunde und sichere Ernährung gewährleistet werden.
Eine der wichtigsten Prioritäten der Europäischen Union für dieses Jahrzehnt ist es, die Nachhaltigkeit der Lebensmittelsysteme auf allen Ebenen sicherzustellen. Durch die EU-Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ wurden erste Maßnahmen eingeleitet, um die europäischen Lebensmittelsysteme nachhaltig, gesund und fair zu machen. Aber welche Rolle spielen die Städte bei diesem Prozess und wie können sie ihren Beitrag zu den Ernährungs-, Klima- und sozialen Zielen der EU leisten?
Um diese Fragen zu beantworten, lud das Projekt Food Trails Vertreter von europäischen Partnerstädten und europäischen Institutionen zu einer Reihe von Frühstücks-Dialogen ein.
Gleichberechtigten Zugang zu guten Lebensmitteln garantieren
„In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Kluft zwischen Stadt- und Landbevölkerung vergrößert. Selbst wenn Supermärkte die Produkte von Landwirten verkaufen, so ist die Präsenz der Landwirte in der Stadt der wichtigste Faktor für die Bürger. Deshalb kommt der Strategie „Vom Hof auf den Tisch“ eine derart große Bedeutung zu“, betonte Herbert Dorfmann, Europaabgeordneter für die italienische Region Südtirol und Berichterstatter für die Strategie „Vom Hof auf den Tisch“, bei dem Treffen am 27. April. Um die Klimaziele der EU zu erreichen, muss wieder eine Beziehung zwischen den ländlichen Erzeugern von Lebensmitteln und den Konsumenten in der Stadt aufgebaut werden.
Doch das letzte Jahr mit der COVID-19-Pandemie machte es besonders schwierig, diesen Vorsatz in die Tat umzusetzen: Die Pandemie hatte verheerende Auswirkungen auf das globale Lebensmittelsystem und auf den gleichberechtigten Zugang zu Nahrungsmitteln. Städte, die bereits starke Beziehungen zu Akteuren der gesamten Lebensmittelkette aufgebaut hatten, konnten allerdings besser auf die neuen Umstände reagieren.
Anna Scavuzzo, stellvertretende Bürgermeisterin der Stadt Mailand, stellte die Zusammenarbeit ihrer Stadt mit Netzwerken wie Eurocities und dem Mailänder Abkommen über städtische Ernährungspolitik vor, bei dem durch die Verteilung von Lebensmittelpaketen, Gutscheinen oder Finanzhilfen, etc. der Zugang der Bürger zu Nahrungsmitteln garantiert werden soll. „Die Pandemie war ein echter Schock: eine derartige Verzweiflung der Menschen hätten wir uns nicht vorstellen können. Wir versuchten also sicherzustellen, dass auch arme Menschen Zugang zu guten Lebensmitteln haben konnten und schafften es, die Schließungen zu überbrücken. So etwas kann man erreichen, wenn gute Ernährungspolitik Form annimmt.”
Die Ernährungsumgebung verbessern
Ebenso wichtig wie ein faires Lebensmittelsystem ist ein gesundes. Die Stadt Birmingham kennt dieses Problem nur zu gut – die zweitgrößte britische Stadt hat eine der höchsten Fettleibigkeitsraten bei Kindern im Land: 41% der Kinder sind übergewichtig, wenn sie die Grundschule beenden und 60% der Erwachsenen sind übergewichtig oder fettleibig.
Neben Ernährungsbildung an den Schulen hat die Stadt Maßnahmen ergriffen, um die Ausbreitung von Fast-Food-Ketten zu beschränken und damit sicherzustellen, dass es für die Bürger einfacher wird, gesunde Ernährungsentscheidungen zu treffen. Darüber hinaus werden Anreize für Firmen geschaffen, in eine gesündere Lebensmittelwirtschaft zu investieren. „ Es geht darum, die Ernährungsumgebung zu verbessern, ohne die Konsumenten unter Druck zu setzen und ihnen ein schlechtes Gewissen zu machen”, erklärte Paulette Hamilton, Stadträtin und Kabinettsmitglied für Gesundheit und Sozialfürsorge im Stadtrat von Birmingham am 5. Mai.
Auch der Kampf gegen die Werbung für ungesunde oder nicht nachhaltige Lebensmittel steht im Fokus der Europäischen Kommission. Sie legt dazu in den kommenden Monaten einen Verhaltenskodex für verantwortungsvollle Geschäfts- und Marketingpraktiken vor. „Das wird die Lebensmittelindustrie ermutigen, das Angebot an gesunden und nahrhaften Lebensmitteln zu verbessern”, versprach Alexandra Nikolakopoulou, Referatsleiterin der Generaldirektion Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Darüber hinaus soll im Jahr 2022 der Vorschlag der Kommission für eine verpflichtende, harmonisierte Nährwertkennzeichnung auf der Vorderseite von Verpackungen erscheinen, um den Verbrauchern den Kauf gesunder Lebensmittel zu erleichtern.
Nachhaltigkeit durch öffentliche Beschaffung
Eine Stadt, die sich der Bedeutung gesunder Ernährungspraktiken bestens bewusst ist, ist Kopenhagen. Die Ernährungsstrategie der Stadt zielt darauf ab, vom frühesten Alter an eine Versorgung mit nahrhaften und nachhaltigen Lebensmitteln zu gewährleisten, und zwar durch eine fortschrittliche öffentliche Beschaffungsstrategie.
In der dritten Debatte am 6. Mai stellte Franciska Rosenkilde, Kopenhagens Bürgermeisterin für Kultur und Freizeit, das Ziel der Stadt vor, 90% der Schulmahlzeiten aus Bioprodukten herzustellen. Dieses Ziel steht im Rahmen der breiter gefassten Nachhaltigkeitsstrategie der Stadt, bei der Nahrungsmittel eine tragende Rolle spielen: Die durch Nahrungsmittelherstellung verursachten Emissionen sollen innerhalb von fünf Jahren um 25% gesenkt und bis 2030 soll Kohlenstoffneutralität erreicht werden. „Gesunde Menschen, eine gesunde Erde, gesundes Klima – all diese Faktoren sind miteinander verknüpft“, fasste Rosenkilde zusammen.
Die beeindruckende Strategie von Kopenhagen wurde in den letzten 20 Jahren umgesetzt, ohne bei der Beschaffung Extrakosten für die Stadt zu verursachen. Der Fokus liegt auf einer Verkürzung der Lieferketten durch den Aufbau direkter Beziehungen zu lokalen Landwirten und die Wahl saisonaler Lebensmittel. So bringen wir über die Schulmahlzeiten gesunde Biolebensmittel ins Leben der Menschen, „aber die Herausforderung bleibt, einen echten Wandel der Ernährungsgewohnheiten einzuleiten”, schloss Rosenkilde.
Gijs Schilthuis, Referatsleiter der EU-Generaldirektion für Landwirtschaft, fügte hinzu, dass die Europäische Kommission froh sei, mit vielen Städten an Ernährungsprojekten zusammenzuarbeiten, die von ihrem Fonds für beispielhafte Forschung und Entwicklung, Horizon2020, finanziert werden. Er betonte außerdem, dass Städte die Grundlage für die Entwicklung von Ernährungspolitik seien und wie wichtig es sei, die Entwicklungen auf verschiedenen Ebenen miteinander zu verknüpfen.
Food Trails wird den europäischen Städten im Laufe der nächsten vier Jahre helfen, in Zusammenarbeit mit den Bürgern eine eigene Ernährungspolitik zu entwickeln und Pilotprojekte umsetzen, die tiefgreifende Wirkung auf die Lebensmittelsysteme haben.
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