Fahrplan zur GAP SCHRITT 1: Vor Ort Erfahrungen sammeln
27 Apr 2018
Ein Vertreter der Europäischen Kommission besucht in Sizilien Kleinerzeuger von Slow Food
Der heutige Tag steht für die erste Etappe einer wichtigen Reise: dem Fahrplan von Slow Food zur neuen GAP. Unser Fahrplan soll den verschiedenen Initiativen von Slow Food in Verbindung mit der GAP, die in den kommenden zwei Monaten europaweit stattfinden werden, einen gemeinsamen Rahmen geben und unsere Vision eines ganzheitlichen Ansatzes der künftigen gemeinsamen Agrar- und Ernährungspolitik hervorheben. Im Hinblick auf die neue GAP-Gesetzesvorlage stellen wir uns die Frage: was kann uns die Erfahrung von agroökologisch arbeitenden Kleinerzeugern lehren und wie können wir zur Durchsetzung einer ganzheitlicheren Ernährungspolitik beitragen? Im Laufe dieser Reise werden wir von den Bauern lernen, in Dialog mit Bürgern und politischen Entscheidungsträgern treten und die Menschen mittels evidenzbasierter Untersuchungen über Ernährungspolitik informieren. Jede Etappe dieser Reise ist eine wirklichkeitsgetreue Momentaufnahme dazu, wie die zukünftigen EU-Ernährungssysteme (einschließlich der EU-Landwirtschaft) unserer Meinung nach aussehen sollten.
Die erste Etappe unserer Reise führt uns ins Herzen Siziliens, wo eine Gruppe von Kleinerzeugern des Slow Food-Netzwerks einem Vertreter der Europäischen Kommission ihre Vision von Landwirtschaft vorstellte. Nach einem in den letzten Jahren zunehmend intensiveren Dialog mit der Generaldirektion Umwelt bot sich jetzt die Gelegenheit, einen Besuch vor Ort zu organisieren. Die involvierten Hersteller sind beispielhafte Vertreter eines agroökologischen Landbaus in kleinem Maßstab, wie er sich in Europa auf breiter Ebene durchsetzen und durch entsprechende politische Maßnahmen gefördert werden sollte. Dieser Besuch sollte dem politischen Entscheidungsträger die Möglichkeit geben, sich aus erster Hand ein Bild davon zu machen, wie agroökologischer Landbau und die Förderung von Agrobiodiversität aussehen können. Gleichzeitig sollte damit der Beweis geliefert werden, dass dieser Ansatz nicht nur praktikabel ist, sondern auch die Umwelt schont und soziokulturelle und wirtschaftliche Nachhaltigkeit fördert.
Humberto Delgado Rosa, Leiter des Fachreferats Naturkapital der Generaldirektion Umwelt, besuchte auf Sizilien Kleinerzeuger von 7 Slow Food Presidi-Projekten: der Leonforte-Bohne, der Scillato-Aprikose, der Paprika und der Badda-Bohne aus Polizzi Generosa, dem Manna und dem Provola-Käse aus der Madonie. Das Presidi-Projekt soll einheimische Tierrassen, Pflanzensorten und handwerkliche Erzeugnisse vorm Verschwinden retten: die Presidi verstärken die Koordination der Hersteller untereinander, fördern spezifische lokale Gebiete, bewahren traditionelle Praktiken und Kenntnisse und unterstützen nachhaltige Anbau- und Herstellungsmethoden. Dieser Besuch bot den Produzenten die wichtige Möglichkeit für einen direkten Austausch mit einem Vertreter der EU über die Herausforderungen und Probleme ihres Arbeitsalltags und darüber, welche Auswirkungen die Landwirtschafts- und Umweltpolitik auf sie und die von ihnen geförderte Agrobiodiversität haben.
Delgado äußerte seine Dankbarkeit über den Besuch und beschrieb ihn als Erlebnis, das ihm die Augen geöffnet und geholfen habe, die wichtige Verbindung zwischen den örtlichen Produzenten und der landwirtschaftlichen und biologischen Vielfalt besser zu verstehen. Er nutzte die Zeit für eine Auseinandersetzung mit der Agroökologie und hob deren Bedeutung und zentrale Rolle für die Zukunft der Landwirtschaft hervor. Das sei nicht nur ihren innovativen Techniken geschuldet, sondern auch ihrem Rückgriff auf traditionelles Know-How. „Die nächste GAP muss einen echten Wandel hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft auslösen. Landwirtschaft ist ein breites Gebiet, das die unterschiedlichsten Formen einschließt, aber die Bewegung der örtlichen Kleinerzeuger, die die Umwelt und die biologische Vielfalt schützen, ist mit Sicherheit Teil dieses nachhaltigen Ansatzes der Zukunft.“ Als wir Delgado nach der Zukunft der Landwirtschaft Europas fragten, antwortete er:„Wir brauchen eine neue GAP, die wirklich den Umweltschutz einbezieht und die den Mitgliedsstaaten gleichzeitig einen Grad an Flexibilität ermöglicht, allerdings unter Einhaltung der EU-Umweltschutzvorschriften.“
Im Rahmen der Diskussion über die GAP und die Herausforderungen für Kleinerzeuger kommentierte Giulio Gelardi, Produzent des Slow Food Manna Presidios: „EU-Zuschüsse sind oft eine Nummer zu groß für Kleinproduzenten. Sie entmachten die Menschen und veranlassen sie, ihren Lebensstil zu ändern. Wenn ich einen Zuschuss von 30.000 Euro brauche, der Mindestbetrag aber 100.000 Euro sind, dann muss ich meinen Lebensstil ändern, um mehr zu produzieren. Ich beantrage dann Finanzmittel, die ich eigentlich gar nicht brauche.“ Dieser Gedanke wurde von den Produzenten des Slow Food Presidios der Badda-Bohne bekräftigt, die noch hinzufügten: „Die Herausforderung besteht nicht darin, mehr oder weniger zu produzieren, sondern davon leben zu können.“
Francesco Sottile, Ratsmitglied von Slow Food Italien, erfahrener Agrarwissenschaftler und Professor der Universität von Palermo (Sizilien) begleitete Delgado und das Team von Slow Food bei dem Besuch. Er sagte: „Die Institutionen sollten sich vor Ort bei den Kleinerzeugern ein Bild von deren Erfordernissen machen und sehen, mit wie viel Begeisterung sie ihre Arbeit verrichten. Die Landwirtschaft in Europa besteht unzähligen Kleinerzeugern und Familienbetrieben. Wir laufen jetzt Gefahr, diese Leute und ihren begeisterten Einsatz zu verlieren. Das wäre ein schrecklicher Verlust, auch für den Schutz der Umwelt und die Erhaltung des Bodens. Diese Produzenten müssen das Gefühl haben, auf ihrer Reise begleitet und unterstützt zu werden. Sie müssen merken, dass man sich ihrer Rolle als Rückgrat der europäischen Landwirtschaft bewusst ist und sie wertschätzt.“
Wie diese Woche bekannt wurde, enthält die Gesetzesvorlage der neuen GAP Ziele zur Nachhaltigkeit. Die Verantwortung dafür, ob diese erreicht werden oder nicht, überlässt sie allerdings komplett den Mitgliedsstaaten. Damit hängt die Einhaltung der Vorgaben also vom guten Willen der nationalen und regionalen Behörden ab. Die Förderung von agroökonomischem Landbau und Lebensmittelsystemen in Europa erfordert weit mehr als nur die Umverteilung von Zahlungen.
Angesichts der nahenden Gesetzesvorlage für eine neue GAP (voraussichtlich Ende Mai/Juni) stellte der Besuch der Generaldirektion Umwelt für Slow Food eine wichtige Gelegenheit dar, die Erzeuger von guten, sauberen und fairen Lebensmitteln ins Zentrum der Aufmerksamkeit zu rücken. Denn der Ansatz, den sie verkörpern, sollte unserer Meinung nach ein Vorbild für die zukünftige Ernährungspolitik sein. Nächste Woche können Sie mehr darüber erfahren, wie unsere Reise zu einer neuen GAP weitergeht.
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