Essen und die Städte

10 Juni 2025

von Gilles Fumey

Gilles Fumey ist Professor und Forscher in der Kulturanthropogeographie. Er ist auf die Geographie der Ernährung spezialisiert.
Er ist einer der Autoren von Géographies en mouvement, einem Blog, der zunächst von der Zeitung Libération, dann ab 2020 von Mediapart gehostet wurde. Zu seinen Werken gehören „Manger local, manger global : l’alimentation géographique“ (Lokal essen, global essen: geografische Ernährung) und „Géopolitique de l’alimentation“ (Geopolitik der Ernährung) (mit einem Vorwort von Edward Mukiibi).

Er hat für uns diesen Artikel zum Thema urbane Ernährungspolitik verfasst, in dem er zeigt, wie wichtig das städtische Ernährungssystem ist und dass sich bereits Veränderungen vollziehen!

Auf der Suche nach Ernährungsgerechtigkeit

Seit fast fünfundzwanzig Jahren wird die wissenschaftliche Forschung zu dem, was man als „Ernährungsdemokratie“ bezeichnet, von der Europäischen Union gefördert. Dabei geht es um die Frage, wie die Versorgung der Städte – von den kleinsten bis hin zu riesigen Metropolen – besser gesteuert werden kann. Schließlich können Ernährungskrisen dort entstehen, wo man sie am wenigsten erwartet. Wir erinnern uns alle an die schreckliche irische Hungersnot von 1845–1852, die umso erstaunlicher war, als man alles auf das Wunder der Kartoffel gesetzt hatte – eine Knolle, die sich gut an die kargen Böden der Britischen Inseln anpasste und diese endlich von Hungersnöten befreit hatte. Gerade als Europa den Weg zur Nahrungsmittel-Fülle gefunden zu haben schien, wurde es von einer heftigen Migrationskrise und einer Hungersnot auf seinem eigenen Territorium getroffen, die eine Million Todesopfer forderte. Seitdem ist man weit gekommen, um die Idee zu verbreiten, dass wir die Kontrolle über unsere Ernährung zurückgewinnen, die Versorgung sichern, uns keine kulturfremden Nahrungsmittel aufzwingen lassen und landwirtschaftliche Erzeugnisse so weit wie möglich aus globalisierten Märkten herausnehmen sollten. Genau das Gegenteil dessen, was der Liberalismus seit den 1980er Jahren propagiert!

Slow Food hat in diesem neuen Bewusstsein eine wichtige Rolle gespielt. Slow Food hat gezeigt, dass die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an der Ausarbeitung von Versorgungspolitiken zu Formen von Ernährungsdemokratie führt, die auf aktuelle Umwelt-, Wirtschafts- und Sozialfragen reagieren. Fünf europäische Städte wurden untersucht, darunter Aarhus, Barcelona, Gent, Glasgow und Wrocław. In Frankreich haben Paris, Montpellier, Lyon und viele andere von linken Parteien regierte Städte sogenannte „territoriale Ernährungspläne“ (PAT) ausgearbeitet.

Die Förderung von Bauernmärkten und dem Direktverkauf von Produzenten an Konsumenten ist ein wirksames Mittel, um das Ernährungssystem in Städten zu transformieren.

Aarhus, Barcelona, Gent, Glasgow, Wrocław

Bezieht man zivilgesellschaftliche Organisationen (CSOs) und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) mit ein, finden sich Kollektive wie Agricola Mpidusa auf Lampedusa, das die Entwicklung von durch den Tourismus bedrohten Flächen aufmerksam verfolgt. Sie können Landwirte auch bei der Wasser- und Umweltbewirtschaftung unterstützen und Menschen in Notlagen aufnehmen, insbesondere Menschen mit Behinderungen. In Köln arbeitet Deutschlands erster Ernährungsrat (neben dem in Berlin) intensiv an der Ernährungserziehung. Zudem bemüht er sich um den Aufbau eines bundesweiten Netzwerks – eine echte Herausforderung in einem Land, in dem die Lebensmittelindustrie sehr mächtig ist.

Die Entstehung des von Slow Food initiierten Earth Market in Barcelona, der 2021 als Hauptstadt der nachhaltigen Ernährung ausgezeichnet wurde, wurde von lokalen Kollektiven stark unterstützt – ebenso wie in Rom, wo Slow Food daran gearbeitet hat, den Stadtrat für eine systemische Ernährungspolitik zu sensibilisieren. Dort arbeitet der Ernährungsrat daran, wirksamer zu werden, ist jedoch insbesondere in der Arbeit mit Migrantinnen sehr aktiv. Überall verbindet sich das Informelle mit dem Politischen, insbesondere in Ländern mit stärker entwickelter lokaler demokratischer Kultur wie Deutschland und Belgien oder Ländern wie Italien (mit Beispielen in Rom und Lampedusa), wo es starke solidarische Vereinigungen gibt.

Überall haben CSOs und NGOs sowie lokale öffentliche Behörden die sozialen Forderungen nach anerkannter öffentlicher Expertise ernst genommen, was häufig zur Gründung von Ernährungsräten mit solider rechtlicher Grundlage geführt hat. Es sei darauf hingewiesen, dass Frauen oft eine Vorreiterrolle dabei spielen, auf Ernährungsthemen aufmerksam zu machen – insbesondere, weil sie an vorderster Front stehen, wenn es darum geht, Kinder zu ernähren. So war es auch in Paris, wo Bürgermeisterin Anne Hidalgo alle Initiativen zu Schulkantinen in frühkindlichen Einrichtungen unterstützte. Die Covid-Krise zeigte zudem, dass verletzliche Bevölkerungsgruppen Unterstützung benötigten: nicht nur Geflüchtete und Obdachlose, sondern auch… Studierende, insbesondere solche, die ihr Studium durch Tätigkeiten finanzierten, die während der Lockdowns nicht mehr möglich waren.

Slow Food verbindet junge Menschen aus der ganzen Welt, die sich leidenschaftlich für den Schutz unserer Ernährungssysteme einsetzen.

Bürgerkontrolle über Ernährung

Diese Veränderungen spiegeln ein langsames, aber unaufhaltsames Bewusstwerden wider: Der Klimawandel bringt Städte dazu, über die Verletzlichkeit des produktivistischen Systems nachzudenken. Einige erwerben Land und stellen es Marktgärtnern für Schul- und Krankenhauskantinen zur Verfügung. Andere, wie Montpellier (Frankreich), entwickeln Initiativen zur Einführung einer „Ernährungssicherheitskasse“. Wie in New York wird gegen Junkfood vorgegangen, indem man Missbräuche durch Hersteller bestraft. In Städten wie Marseille und Vittel (Frankreich) übernimmt die Kommune direkt die Verwaltung der Schul- und Krankenhausverpflegung. Durch die Einführung vegetarischer Menüs wird die Öffentlichkeit sensibilisiert – und zugleich auf die Exzesse des Konsums tierischer Proteine aufmerksam gemacht. In Lyon (Frankreich) wurde dieses Thema zu einem sehr heftigen politischen Streitfall für die Gegner der ökologisch geführten Stadtverwaltung.

Der Slow-Food-Ansatz von „gut, sauber und fair“ kann Alternativen zur industrialisierten, globalisierten Ernährung fördern. Bürgerinnen und Bürger, Politiker und Wirtschaftsakteure teilen das Ideal einer lokaleren Ernährung – stets in Solidarität mit den Landwirten und im Respekt vor der Gesundheit der Menschen.

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