Eine Zeit des tiefgreifenden Wandels, eine Zeit der Regeneration
24 Jun 2022
Der Kongress ist für eine Bewegung immer ein sehr wichtiger Moment, der dazu dient, die politische Marschrichtung zu bestimmen. Beim Kongress legen wir die strategischen und operativen Grundlagen für die kommenden Jahre fest, blicken auf das zurück, was wir erreicht haben und ordnen unsere Prioritäten, Strategien, Instrumente und Methoden neu.
Unser nächster Kongress, der Mitte Juli stattfindet, wird aus verschiedenen Gründen ein Meilenstein für unsere Bewegung.
In erster Linie aufgrund der schwierigen Zeit, in die er fällt. Unsere Welt und Gesellschaft sind von zwei Jahren Pandemie gebeutelt. An verschiedenen Orten der Welt herrschen furchtbare Konflikte. Es gibt immer mehr Migration und der Klimawandel ist nunmehr eine Realität, die immer greifbarer wird und die man nicht mehr leugnen kann. Trotzdem ignorieren wir die Dringlichkeit der Lage und die Tatsache, dass der Klimwandel eng mit anderen Krisen verbunden ist. In diesem Szenario tritt immer deutlicher zu Tage, dass die Lebensmittelindustrie einer der Hauptverantwortlichen für die Umweltzerstörung ist. Aus diesem Grund muss unsere Bewegung, die sich seit dreißig Jahren für gute, gesunde und faire Lebensmittel für alle Menschen einsetzt, mutig genug sein, eine politische Führungsrolle einzunehmen, um diese katastrophale Entwicklung zu stoppen. Das Lebensmittelsystem in seiner Gesamtheit ist der Hauptverursacher von CO²-Emissionen in die Atmosphäre. Es verwendet massiv Einwegplastik, die wir als Mikroplastik wieder zu uns nehmen. Es verbraucht Hunderttausende Hektar Grund und Boden und Hunderttausende Kubikmeter Wasser, die nicht dem menschlichen Verzehr dienen, sondern eine Verschwendung von Lebensmitteln nie dagewesenen Ausmaßes fördern, die von der perversen Logik des Marktes allerdings als systeminhärent gerechtfertigt wird. All das ist einfach nicht akzeptabel. Auf dem Spiel steht unsere Zukunft. Meiner Meinung nach liegt im Widerstand gegen diese Mechanismen der Schlüssel, um den Kampf zu gewinnen. Wir dürfen die Umweltfrage nicht länger aufschieben, wir müssen die gravierende Untätigkeit unserer Politiker überwinden und klarstellen, dass Lebensmittel einer der politischen Knackpunkte sind und auch künftig sein werden, um unsere Beziehung zur Erde zu erneuern und eine friedliche Zukunft zu garantieren.
Die zweite Besonderheit unseres nächsten Kongresses wird sein, dass er die Hinweise und Anregungen von Chengdu aufnimmt und in die Tat umsetzt, um unsere Bewegung noch offener und inklusiver zu machen. Damit das gelingen kann, brauchen diese politischen Wegweiser geeignete Strukturen. Wir müssen allzu bürokratische und verkrustete Formen aufbrechen, um dem Netzwerkcharakter Raum zu geben, der seit der Entstehung prägend für Terra Madre ist und der unsere Bewegung in der Tat bereits revolutioniert hat. Das sind die Voraussetzungen für die grundlegende Veränderung, die wir uns vorgenommen haben. Diese Veränderung wird es uns ermöglichen, die unterschiedlichen Formen einzuschließen, an unserem Netzwerk mitzuwirken und aktiv zu werden. Eine Formenvielfalt, die zur „Lebenswelt“ von Slow Food gehört, damit sich die Zugehörigkeit und Mitwirkung an unserem Netzwerk nicht auf das starre Vereinsmodell der westlichen Welt beschränkt, sondern auch das ältere und überlieferte Modell der „Gemeinschaften“ einschließt. Denn Gemeinschaften sind schließlich die Grundbausteine, mit denen die Natur seit Milliarden von Jahren das Leben auf dem Planeten gefördert hat. Angefangen bei den ersten Bakterien, die sich vor 3 Milliarden Jahren kolonienförmig entwickelt haben, bis hin zu den komplexesten Gesellschaftsformen; jede Lebensform hat in der Aggregation und Bildung von Gemeinschaften einen evolutionären Schlüssel zum Erfolg gefunden. Das liegt daran, dass sich Gemeinschaften durch ihre Fähigkeit auszeichnen, Probleme, Ressourcen, Kenntnisse und Ziele zu teilen. Außerdem sind sie Reagenzräume für affektive Intelligenz und rigorose Anarchie: zwei Schlüsselelemente, um ein universelles Gemeingut zu erreichen – das Recht für alle Menschen auf gute, gesunde und faire Lebensmittel – , und gleichzeitig die territorialen und individuellen Freiheiten und Unterschiede zu wahren. Wir durchleben schwierige Zeiten. Wenn wir einen grundlegenden Wandel des Lebensmittelsystems bewirken wollen, müssen wir uns flexibleren Organisationsmodellen öffnen und dürfen keine Angst haben, neue Einflüsse aufzunehmen, unbekannte Wege zu gehen und auf fremde Stimmen zu hören. Food-Aktivisten zu sein, bedeutet für Slow Food heute, sich mit all denen zu verbünden, die wie wir glauben, dass Ernährung und Lebensmittel Grundlagen für die Zukunft der Menschheit sind. Der Weg zur Partizipationsstiftung wird es uns ermöglichen, die unterschiedlichen Mitwirkungsformen an unserem Netzwerk formell anzuerkennen und zu würdigen. Nur so können wir die Weiterentwicklung gewährleisten, die für alle Bewegungen und Vereine heute lebensnotwendig ist.
In unserem Fall vollzieht sich dieser Wandel auch durch eine Veränderung der Governanceform, die neuen Generationen Raum lässt. Wir müssen in der Lage sein, das Alte mit dem Neuen zu verbinden. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir einen langen Weg zurückgelegt und Ziele erreicht haben, die unerreichbar erschienen. Dadurch konnten wir das werden, was wir heute sind. Die heutige Welt ist ganz anders als damals, als unsere Bewegung entstanden ist. Wir müssen uns also von der Kreativität und Intuition neuer Akteure inspirieren und leiten lassen, die in der Lage sind, die Gegenwart zu interpretieren, und dann gemeinsam die Marschrichtung festlegen, um künftige Ziele zu erreichen.
Uns steht eine Zeit des grundlegenden Wandels bevor, die wir voller Freude und Optimismus erleben sollten. Wandel ist ein Symbol für Erneuerung; für die Fähigkeit, den natürlichen Evolutionsprozess durch eine Verlängerung des physiologischen Lebenszyklus (Geburt, Wachstum und Tod), dem sich niemand entziehen kann, zu fördern.
Ich hoffe, dass mein Aufruf auch bei denjenigen, die nicht persönlich bei unserem Kongress anwesend sein können, ein starkes und emotionales Echo auslöst. Denn der Wandel kann nur grundlegend und langlebig sein, wenn er unsere gesamte Gemeinschaft durchdringt, angefangen bei den lokalen Gruppen, die seit jeher Nährboden unseres Netzwerks sind: Orte, an denen Gegenwart stattfindet und Chancen für unsere Zukunft gelegt werden.
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