Die Vorschläge von Slow Food zur Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik
26 Apr 2017
Angesichts der bevorstehenden Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) hat die Europäische Kommission bereits am vergangenen 2. Februar eine öffentliche Konsultation zur Modernisierung und Vereinfachung der GAP gestartet, die allen Bürgern und betroffenen Organisationen offensteht.
Slow Food hatte bereits letzten März gemeinsam mit über 150 Organisationen der Zivilgesellschaft in der gemeinsamen Erklärung Gute Lebensmittel, Gute Landwirtschaft – Jetzt!
die ersten Anregungen für die Zukunft der GAP geliefert.
Um den Partizipationsprozess mit den europäischen Institutionen fortzuführen, hat Slow bei seiner Reaktion auf die Konsultation den Akzent auf die wichtigsten Punkte der GAP-Reform gelegt, die im Jahr 2020 ansteht.
Die Kommission hat bei der Konsultation geschlossenen Fragen den Vorzug gegeben, deren vorgefertigte Antworten sich teils als wenig objektiv, mehrdeutig und nicht sehr klar erwiesen. Gleichzeitig war es jedoch möglich, den Antworten auf die Konsultation ein kurzes Positionspapier beizufügen. Demzufolge legte Slow Food den Fokus auf dieses Dokument und hob darin die Notwendigkeit hervor, von einer gemeinsamen Agrarpolitik auf eine europäische Lebensmittelpolitik umzustellen. Gleichzeitig wurden darin konkrete Maßnahmen vorgeschlagen.
In seinem Positionspapier stellt Slow Food folgende Forderungen:
- Den Übergang von einer Gemeinsamen Agrarpolitik zu einer Gemeinsamen Agrar- und Lebensmittelpolitik, damit das Lebensmittelsystem in Gänze berücksichtigt wird und folglich auch einige sehr wichtige Problematiken einbezogen werden, wie Vertriebssysteme und Lebensmittelverschwendung. Ziel ist dabei ein wirklich nachhaltiges Lebensmittelsystem und die Abkehr von industriellen Produktionsmechanismen bei der Herstellung von Lebensmitteln. Der Wandel ist bereits in Gang, wie das Entstehen neuer Marktformen beweist, die im Gegensatz zu den industriellen Modellen auf einer Zusammenarbeit der verschiedenen sozialen Parteien beruhen. Es muss klargestellt werden, dass Essen eben nicht ein Gut wie jedes andere ist, sondern die Grundlage unseres Überlebens. Folglich kann und darf Essen nicht als Ware behandelt werden, wie es bis heute der Fall ist. Die rein industrielle Logik, die in unserem Landwirtschaftssystem vorherrscht, ist ganz offensichtlich gescheitert: in der Europäischen Union werden jedes Jahr 88 Millionen Tonnen Lebensmittel verschwendet (20% der gesamten Lebensmittelproduktion), gleichzeitig musste im Zeitraum 2003-2013 jeder vierte Landwirtschaftsbetrieb schließen. Auch in punkto Umwelt sieht die Bilanz nicht besser aus: der Landwirtschaftssektor verursacht 10% der Treibhausgasemissionen in der EU. Diese Zahlen sind uns schon viel zu lange ein Dorn im Auge.
- Die Anerkennung der Lebensmittelsouveränität, verstanden als „das Recht der Völker auf für alle zugängliche, gesunde und kulturell angepasste Nahrung, nachhaltig und unter Achtung der Umwelt hergestellt. Sie ist das Recht der Bevölkerung, selbst über ihre Ernährung und Landwirtschaft zu bestimmen .”[1] Lebensmittelsouveränität ist sicherlich ein wirksames Instrument, mit dem sich die Bürger wieder alle nötigen Ressourcen und Mittel aneignen können, um die konkreten Herausforderungen zu meistern, die das aktuelle Lebensmittelsystem bereithält: vom Klimawandel bis zu den Krisen des Lebensmittelmarktes, vom Verlust der biologischen Vielfalt bis hin zur Sicherung eines gerechten Einkommens für die Landwirte, vom Zugang zu den Naturressourcen bis hin zur Achtung der Rechte der in der Landwirtschaft Tätigen.
- Die konkrete Unterstützung kleiner, umweltfreundlich arbeitender Hersteller und lokaler Erzeugnisse , da diese grundlegend für ein nachhaltiges Lebensmittelsystem sind. Denn es sind genau diese kleinen, umweltfreundlich arbeitenden Erzeuger, die eine Reihe von umweltbezogenen und sozialen Diensten für die Gemeinschaft leisten, darunter natürlich die Herstellung von qualitativ hochwertigen Lebensmitteln. Gleichzeitig liefern sie auch einen wichtigen Beitrag zur Bewahrung des Bodens und der Naturressourcen, indem sie wenig chemische Substanzen verwenden, lokale Sorten anbauen und die biologische Vielfalt schützen. Die kleinen Landwirtschaftbetriebe ermöglichen außerdem den Einsatz von mehr Arbeitskräften, wodurch sie eine wertvollen Einkommensquelle und ein Stützpfeilder der lokalen Wirtschaften werden und damit zum Erhalt der ländlichen Gemeinschaften beitragen.
- Die Förderung agroökologischer Methoden, die auf einem effizienten Ressourceneinsatz basieren; die sehr wenige bis keine chemischen Produkte verwenden und die bestehenden Synergie-Effekte zwischen den einzelnen Arten ausnutzen. Dieses Landwirtschaftsmodell beinhaltet folglich zahlreiche Vorteile im Hinblick auf den Umweltschutz , da es die biologische Vielfalt schützt, die Fruchtbarkeit des Bodens erhält und einen optimalen Ernteertrag sichert. Die diversifizierten agroökologischen Systeme garantieren den Bauern außerdem ein angemessenes und gesichertes Einkommen, so dass sie nicht mehr nur auf den Erfolg einer einzelnen Anbaukultur setzen (was das Einkommen höchst anfällig für Marktschwankungen oder eventuelle Naturkatastrophen macht).
- Konkrete Unterstützung für die benachteiligten Gruppen, insbesondere die Bevölkerung der Randgebiete (vor allem in den Bergen) und die jungen Leute. Die Landflucht, bedingt durch das Fehlen von Infrastrukturen und Arbeitsplätzen, stellt in ganz Europa ein erhebliches Problem dar, da gerade in diesen Räumen noch eine breitgefächerte biologische Vielfalt zu finden ist. Ein weiterer negativer Trend in Europa sind die Markteintrittsbarrieren im Landwirtschaftssektor für junge Leute. Einerseits werden sie durch die offenkundig geringen Verdienstmöglichkeiten abgeschreckt, andererseits ist es für die schwierig, Zugang zu den erforderlichen Ressourcen zu bekommen, seien sie finanzieller Natur wie Kredite, seien sie natürlicher Art, darunter in erster Linie Grund und Boden.
- Förderung der Prozesse zur Mitbestimmung, um demokratische Entscheidungsprozesse in der Landwirtschafts- und Lebensmittelpolitik zu garantieren. Produzenten, Konsumenten, Organisationen der Zivilgesellschaft und Forscher müssen einen politischen Gestaltungsspielraum bekommen, in dem sie die Prioritäten des Sektors festlegen und den Institutionen eine gemeinsame Strategie vorschlagen können. Diese Gestaltungsspielräume können auch als Ort des Wissensaustauschs zwischen den verschiedenen Akteuren des Lebensmittelsektors fungieren, und so den Zusammenhalt der diversen gesellschaftlichen Parteien fördern und die Machtkonzentration seitens großer multinationaler Firmen verhindern.
Slow Food ist fest von dem großen Potential einer gemeinsamen Lebensmittelpolitik überzeugt. Die Prioritäten müssen jedoch nach den konkreten Erfordernissen der ländlichen Bevölkerung ausgerichtet werden, die eine Anerkennung ihrer Rolle und Unterstützung einfordert, sowie unter Berücksichtigung der Erfordernisse der städtischen Bevölkerung, die hochwertige Lebensmittel zu fairen Preisen fordert.
[1] Erklärung von Nyéléni über die Lebensmittelsouveränität, Mali, 2007.
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