Der Zug der Veränderung: die außergewöhnliche Geschichte einer Gemeinschaft

23 Jul 2020

Die sich gegen Glyphosat und für eine glückliche Zukunft einsetztIn der österreichischen Region Kärnten hat sich eine ganze Gemeinschaft entschlossen, wortwörtlich mit den eigenen Händen gegen die Verwendung von Glyphosat zu kämpfen. Jede Person, die dazu beitragen will, kann für zwei Stunden entlang des 32 Kilometer langen Abschnitts der Eisenbahnlinie Unkraut jäten. Unter dem Motto: Wir befreien unsere Gemeinschaft von Glyphosat!

Die Geschichte der Gemeinschaft

Wir befinden uns in dem wunderschönen Gailtal (in Süd-Österreich), einem von Osttirol nach Kärnten verlaufenden Tal. Diese Region ist ein Beispiel für Exzellenz und Respekt gegenüber den regionalen Traditionen und Qualitätsprodukten. Genau aus diesem Grund hat Slow Food sie als das erste Reiseziel von Slow Food Travel weltweit nominiert.

Hier ist der Slow Food Verein dank des Conviviums Slow Food Alpe Adria und seines Präsidenten Herwig Ertl, sehr aktiv. Letzterer ist eine echte Naturgewalt: Mit seinem Charisma und mitreißendem Charakter hat er es geschafft, die Gemeinde von der Wichtigkeit einer gemeinsamen Arbeit zu überzeugen, um für alle eine gute, saubere, faire und gesunde Zukunft zu garantieren. width=Die Eisenbahnlinie

Die Eisenbahnlinie wurde im Jahr 1925 eingeweiht. Damals verband sie Arnolstein über Hermagor mit Kötschach-Mauthen. 2016 haben die Österreichische Bundesbahnen die Linie zwischen Hermagor und Kötschach-Mauthen geschlossen, denn sie war kommerziell nicht profitabel. Eine kleine, lokale Gruppe von jungen Leuten hat sich gegen diese Entscheidung gewehrt: 31 Kilometer ohne Eisenbahnlinie würden dem Tourismus dieser Gegend sehr schaden. Dementsprechend würde man sogenannte Eisenbahn-Draisine einsetzen: Dabei handelt es sich um Pedalfahrzeuge, die hauptsächlich zur Inspektion und Wartung von Eisenbahnstrecken genutzt werden. Man hat aber schnell gemerkt, dass Eisenbahn-Draisine einen Zug nicht ersetzen können. Um die Eisenbahnlinie wieder vollständig in Betrieb zu nehmen, musste eine Lösung gefunden werden. width=

Die Aufdeckung des Glyphosats

Im Mai 2020 bemerkte eine ortsansässige Familie einen langen Güterzug auf den verlassenen Bahngleisen. Neugierig fragten sie, was die Zug-Container beinhalten würden.

Die Antwort überraschte alle: „Die Container enthalten Glyphosat, das für die Unkrautbekämpfung der Gleise verwendet wird, so dass sie wieder befahrbar werden.“

Wie bitte? Glyphosat in der ersten Slow Food Travel-Region? Das war inakzeptabel. Das lokale Convivium Slow Food Alpe Adria, von Herwig angeführt,

hat daraufhin ein Treffen mit dem Eisenbahnverband Gail Valley arrangiert, um zu erklären, wieso diese Entscheidung falsch sei. Man sollte sich darum bemühen eine alternative Lösung, ohne die Verwendung von Glyphosat zu finden. Leider schenkte ihm niemand Gehör.

Slow Food-Aktivismus

Das Convivium hat darauf reagierend eine Petition gegen den Glyphosat-Gebrauch organisiert und in drei Tagen um die 4000 Unterschriften gesammelt. Das wiederum stieß bei vielen nationalen Zeitungen und Nachrichtensendungen auf große Resonanz.

Die Mobilisierung hat viele Bereiche aktiviert: von den Imkern zu den Bauern; von der lokalen Verwaltung bis hin zu den Slow Food-Mitgliedern. Dadurch war es möglich ein Treffen mit der nationalen österreichischen Eisenbahngesellschaft zu organisieren: das Glyphosat würde verbannt und die Suche nach alternativen Lösungen eingeleitet werden. Was für einen Sieg! width=

Eine ganze Gemeinde steckt ihre Hände in die Erde

Die Verwendung von Glyphosat wäre natürlich eine schnelle und billige Lösung des Problems gewesen.

Aber zu welchem Preis? So hätte man die Arbeit von Hunderten von Landwirten, Produzenten und Imkern gefährdet, die sich seit Jahren für die Versorgung der lokalen Bevölkerung mit Qualitätsprodukten einsetzen.

Dann ist etwas wirklich Außergewöhnliches passiert: Dieselbe Gemeinde hat sofort nach der Unterzeichnung der Petition nach einer Lösung gesucht, ohne darauf zu warten, dass andere das Problem lösen würden.

Diese erstaunliche Gemeinde hat genau verstanden, wie wichtig es ist, die eigenen Traditionen und die Gemeinschaft zu bewahren, und die Situation buchstäblich selbst in die Hand genommen. Junge Leute, Familien, Imker und viele andere haben angefangen, selbst das Unkraut von der 32 Kilo

meter langen Eisenbahnstrecke zu entfernen. width=

Und so funktioniert es: Jede Familie (ausgestattet mit guten Schu

hen und Handschuhen) beschließt lediglich zwei Stunden ihrer Zeit dem Unkraut jäten zu widmen. Das Resultat ist jedoch unbeschreiblich: neben dem Jäten ohne Einsatz von Glyphosat, wird bei dieser Aktivität auch das Gemeinschaftsgefühl gestärkt, weil jeder für das Gemeinwohl arbeitet, um die lokale Natur und die lokalen Produzenten zu schützen.

Die Belohnung für diese Arbeit ist eine Runde auf dem Eisenbahnrad für 5 Personen für jeden gejäteten halben Kilometer. Bis heute wurden über 20 Kilometer der Eisenbahnstrecke von Unkraut befreit.

“Wir von Slow Food Alpe Adria haben immer mehr gemacht, als von uns erwartet wurde” sagt Herwig. „Wir haben allen Leuten den Reichtum der eigenen Region gezeigt. Wenn wir glauben, dass Geld unsere einzelne Reichtums-

Quelle sei, werden wir mit Sicherheit eine traurige Zukunft haben. Wenn wir aber verstehen, dass der Reichtum die Natur unserer Region ist, dann werden wir eine glückliche und gesunde Zukunft erleben. Wir sind stolz, den Einsatz von Glyphosat gestoppt zu haben und weiterhin hochwertige und gesunde Produkte in der Nähe der Eisenbahnlinien erzeugen zu können. Jeder hat das Recht auf gutes, sauberes und faires Essen. Ich kann mit Stolz behaupten, dass wir weltweit eines der ersten Täler sind, welches eine solche Mobilisierung erlebt hat.“

Viele Zeitungen und Fernsehsender sprechen auch weiterhin von dieser Initiative. Sie betonen die bespielhafte Solidarität und das Gemeinschaftsgefühl der Menschen aus dem Gailtal: eine wahrhaftige Gemeinschaft der Veränderung. Slow Food ist stolz darauf, dass die eigene Philosophie eine zentrale Rolle bei dieser Mobilisierung gespielt hat. Wir sind stolz, auf Menschen wie Herwig Ertl zählen zu können. Menschen, die mit großer Leidenschaft für die Biodiversität kämpfen. Wir gratulieren der Gemeinschaft herzlich zu diesem außergewöhnlichen Sieg. Sie haben der Welt gezeigt, dass wir die Kraft zur Veränderung sind!

Mehr Info über Slow Food Das Convivium Slow Food Alpe Adria ist auf der lokalen Ebene sehr aktiv, wie wir bereits erzählt haben. Herwig Ertl ist Präsident des Conviviums und Botschafter der Region. Seine Frau Marianne Daberer ist Präsidentin der ersten Slow Food Travel-Region weltweit, Slow Food Alpe Adria. Sie besitzt auch ein Hotel, das allen lokalen Food-Produzenten Sichtbarkeit gibt. Das Hotel wird auch das Event Terra Madre Sankt Daniel im Jahr 2021 hosten.

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